Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechsundzwanzigster Jahrgang. 1910. (51)

Das Penisqe Reih und seine einzelnen Glieder. (Dezember 13.) 443 
gemischt hätte. Wem war denn Moabit ein gefundenes Fressen, um 
politische Geschäfte zu machen? Der schwarz-blaue Block, der bedurfte ein 
solches Moabit. Sie wollten Stimmungsmache haben. Sie wollten etwas 
gegen die bösen Sozialdemokraten. Und nun müssen Sie eine solche Ent- 
täuschung erleben. Die Sache ist Ihnen gründlich vorbeigeglückt. Und nun 
haben die Polizeibeamten sogar noch Orden bekommen, und die Richter 
sehen sich in der Zwangslage, die Dekorierten zu verurteilen. Feststeht: 
entweder hat der Reichskanzler den Bericht nicht gelesen, oder er war nicht 
informiert, das ist der mildere Fall. 
Ein soziales Königtum werden wir unterstützen. Der Reichskanzler 
wird uns dann zu Bundesgenossen haben, während die Herren von der 
Rechten in der Opposition sein werden. Das ist der einzige Weg, die 
Monarchie in Deutschland zu festigen. Eine Monarchie kann sich nicht auf 
eine kleine Kaste stützen. Eine Monarchie kann auf die Dauer nur bestehen, 
wenn sie sich auf die Mehrheit des Volkes stützt. In Portugal ist die 
Monarchie zusammengebrochen, weil sie sich in den Mantel der Ritter und 
Mäönche hüllte. Wenn es in Deutschland Republikaner gibt und wenn 
diese zunehmen, so ist das eine Folge Ihrer (zur Rechten) Politik. Sie 
machen Republikaner, Tausende und Abertausende, und der Reichskanzler 
hilft Ihnen dabei mit. Ich glaube zwar nicht, daß Sie belehrbar sind. 
Ich glaube auch nicht, daß eine höhere Stelle belehrbar ist; die Hohen- 
zollern sind nicht belehrbar. Aber Sie wollen keinen solchen Frieden. Wir 
wollen nicht mit den Waffen kämpfen, die Sie gegen uns anwenden wollen, 
aber wir werden dafür sorgen, daß unser Ziel erreicht wird, und zwar 
durch Aufklärung. Wir wollen die Köpfe nicht abschlagen, sondern wir 
wollen die Köpfe revolutionieren durch geistige Wasfen. Sie wollen uns 
mit Ausnahmegesetzen niederschlagen. Der Reichskanzler Fürst Bismarck 
war wahrhaftig aus anderem Holz geschnitzt als der Reichskanzler, der 
gegenwärtig auf seinem Sessel sitzt. (Große Heiterkeit.) Er versuchte, die 
Sozialdemokratie mit Ausnahmemitteln niederzuschlagen, als die Sozial- 
demokratie noch schwach war, und der Effekt war, daß die Sozialdemokratie 
heute die stärkste Partei ist. Glauben Sie, daß Bethmann das gegenüber 
der Riesensozialdemokratie erreichen werde, was Bismarck nicht der kleinen 
Sozialdemokratie gegenüber gelungen ist? Sie werden unsere Macht nicht 
brechen. Die Sozialdemokratie ist unbezwingbar, sie könnte nur vernichtet 
werden um den Preis der Vernichtung der deutschen Nation, der deutschen 
Kultur. Um was wir jetzt kämpfen, ist nicht eine Parteifrage im engeren 
Sinne, sondern es handelt sich um eine Schicksalsfrage des gesamten Volkes. 
Es handelt sich darum, ob das Volk weiter die Herrschaft der Minderheit 
ertragen kann. Diese Minderheit muß beseitigt werden, denn sie treibt 
eine Politik auf eigene Vorteile. Die große Mehrheit des Volkes will sich 
nicht mehr die Herrschaft einer kleinen Kaste gefallen lassen. Wenn sie 
dann nicht mehr den Einfluß haben, wollen wir Ihnen gern die Gleich- 
berechtigung lassen und wir wollen keine Ausnahmegesetze gegen Sie haben, 
aber unser Ruf soll sein: Unser das Volk und unser der Sieg! 
Reichskanzler v. Bethmann Hollweg: Von dem Abg. Dr. David 
will ich nur ein paar Worte hervorheben, in denen er sich mit meinen 
Ausführungen beschäftigt hat, die ich auf die Ausführungen des Abg. Scheide- 
mann gemacht habe. Die Herren Sozialdemokraten meinen doch nicht etwa, 
daß sie ein Vorrecht zur Besprechung der Moabiter Dinge in Anspruch 
nehmen können. Nachdem von sozialdemokratischer Seite hier der Verdacht 
ausgesprochen worden ist, wie es eben der Abg. David getan hat, die Moabiter 
Krawalle seien durch die Polizeispitzel hervorgerufen, und nachdem hier 
von sozialdemokratischer Seite ausdrücklich erklärt worden ist, die Moabiter
	        
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