452 Das Venische Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 28. — Ende.)
verordnetenversammlung heilsam für die Beschlüsse seien und noch heilsamer
für die innere Umbildung der sozialdemokratischen Führer selbst. Es war
sehr falsch von der preußischen Verwaltung, daß sie lange die Sozial=
demokraten möglichst von den Selbstverwaltungsämtern fernhalten wollte.
Zum mindesten da, wo sie die Selbstverwaltung nicht einseitig beherrschen,
wie in den Krankenkassen, ist ihre Mitwirkung nur erwünscht. Die Selbst-
verwaltung muß überall die Vorschule für politischen Einfluß sein.“
28. Dezember. (Berlin.) Beilegung des Professorenstreites.
Ein Anschlag am Schwarzen Brett in der Universität gibt bekannt,
daß Prof. Dr. Bernhard die im Kolleg von ihm getanen Aeußerungen,
soweit sie Vorwürfe gegen seine Fachgenossen enthalten, zurücknimmt, auch
versichert, daß er den in der Presse anonym erschienenen ehrverletzenden
Angriffen gegen seine Fachgenossen fernsteht, während die Herren Exzellenz
Wagner, Exzellenz v. Schmoller und Prof. Sering die in ihrem Schreiben
vom 23. Juli d. J. gegen Herrn Prof. Bernhard erhobenen Beleidigungen
zurücknehmen und erklären, daß sie etwaigen in der Presse erschienenen
ehrverletzenden Angriffen fernstehen.
29. Dezember. (Augsburg.) Episkopat und Lehrerzeitung.
Der Hauptausschuß des „Bayerischen Lehrervereins beschließt eine
Erklärung gegen einen Erlaß des bayerischen Episkopats wegen der „katho-
likenfeindlichen Haltung“ der „Bayerischen Lehrerzeitung“. Die Erklärung
schließt: „Der bayerische Lehrerverein will bleiben ein paritätischer Verein-
und für seine Mitglieder die Stätte für Wahrheit, Freiheit und Recht.“
30. Dezember. (Berlin.) Sensationelle Veröffentlichung.
Die „Germania“ veröffentlicht eine Aussage des verstorbenen Reichs-
tagspräsidenten Ballestrem, wonach Reichskanzler Fürst Bülow ihm in der
berühmten Sitzung vom 13. Dezember 1906 eine Täuschung bereitet habe,
die er nie vergessen konnte. Auf seine Frage, unmittelbar vor Beginn der
Verhandlungen, ob es wahr sei, daß der Reichstag ausgelöst werde, wenn
er die Kolonialvorlage in der zweiten Lesung wieder ablehnte, habe Fürst
Bülow erklärt: „Ich denke nicht daran, es ist kein Wort davon wahr.“
Dennoch erfolgte noch in derselben Sitzung die Auflösung.
31. Dezember. (Berlin.) Der Kaiser übernimmt das Pro-
tektorat der „Carnegie-Stiftung für Lebensretter“, die der bekannte
schottisch-amerikanische Milliardär mit einem Kapital von 1¼ Mil-
lionen Dollars begründet hat.
Der Zweck der Stiftung ist die Linderung der finanziellen Notstände,
welche sich aus heldenmütigen Anstrengungen zur Rettung von Menschen-
leben im Gebiete des Deutschen Reiches und seiner Gewässer ergeben, sei
es für die Lebensretter selbst durch deren vorübergehende oder dauernde
Erwerbsunfähigkeit, sei es, im Falle des Todes derselben, für ihre Hinter-
bliebenen.
Ende Dezember. (Berlin.) Die Strafkammer in Moabit
nimmt den Prozeß wegen der Moabiler Krawalle nach 36 Sitzungen
ins neue Jahr hinüber.