Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechsundzwanzigster Jahrgang. 1910. (51)

II. 
Die österreichisch-ungarische Monarchie. 
1. Januar. (Ungarn.) Da ein Budget nicht zustande ge- 
kommen ist, tritt der sogenannte Ex-lex-Zustand ein, in dem keine 
direkten Steuern eingetrieben werden können. 
Die Diäten und Quartiergelder der 453 Abgeordneten, die an diesem 
Zustande schuld sind, werden aber in Höhe von 720000 Kronen ebenso wie 
die Beamtengelder weitergezahlt. 
2. Januar. (Ungarn.) Krone und Unabhängigkeitspartei. 
In Erwiderung der von Mitgliedern der Kossuth-Partei zum Jahres- 
wechsel dargebrachten Glückwünsche erklärte Handelsminister Kossuth, daß der 
Gründung einer selbständigen Bank derzeit unüberwindliche Hindernisse im 
Wege stehen. Die Krone hege Mißtrauen gegen die Bestrebungen der Un- 
abhängigkeitspartei und habe sie daher nach dem Zerfalle der Koalition nicht 
mit der Führung der Regierungsgeschäfte betraut. 
4. Januar. (Wien.) Zur Leitung des Preßbureaus im Aus- 
wärtigen Amt wird an Stelle des Sektionschefs v. Jettel der Sektions- 
rat v. Hauya, ebenfalls ein Ungar, berufen. 
Die tschechische Presse knüpft daran Vermutungen, als ob diese 
Veränderung mit den gefälschten Dokumenten des Friedjung-Prozesses 
zusammenhinge. 
4. Januar. (Ungarn.) Herr v. Lukasc wird vom Kaiser in 
Wien zum Ministerpräsidenten ernannt und beauftragt, unter allen 
Umständen ein Kabinett zu bilden. 
Er tritt mit dem Programm auf, das allgemeine Wahlrecht durch- 
zuführen und die gemeinsame österreichisch-ungarische Bank provisorisch fort- 
bestehen zu lassen. 
5. Januar. (Wien.) Zur Erinnerung des Besuches des deutschen 
Kaiserpaares am 14. Mai vorigen Jahres wird von der Bezirks- 
vertretung Wieden die Alleegasse in „Kaiser Wilhelmstraße“ um- 
gewandelt. 
8. Januar. (Prag.) Zur Sprachenvorlage. 
Der deutsche Abgeordneten= und Vertrauensmännertag erklärte es 
für die vornehmste Aufgabe der deutschen Abgeordneten Böhmens, durch 
geschlossenes, einmütiges Auftreten die sofortige Beratung der Sprachen- 
vorlage der Regierung zu erzwingen und zu diesem Zweck die stärksten 
Mittel, wenn nötig die Obstruktion, anzuwenden.
	        
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