Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechsundzwanzigster Jahrgang. 1910. (51)

466 Die ãsterreiisq · nngarishe Menarqhie. (Juli 5.—15.) 
5. Juli. (Cisleithanien.) Vertagung des Reichsrats wegen 
der Obstruktion der Slovenen und des Polenklubs im Budget- 
ausschuß. 
Die Opposition ist zum Teil persönlich an dem Bau der galizischen 
Wasserstraßen interessiert, weil sie Aktien der österreichischen Zementfabriken 
ekauft hatte, und will den Ministerpräsidenten von Bienerth zwingen, 
feine ablehnende Haltung in dieser Frage aufzugeben. 
9. Juli. (Wien.) Der gerichtliche Senat des Oberhofmarschall= 
amts erklärt auf Antrag des Erzherzogs Joseph Ferdinand den 
seit 1890 verschollenen Johann Orth, ehemaligen Erzherzog Johann 
Salvator, für tot. 
Da ein Originalbrief vorgelegt werden kann, der beweist, daß Johann 
Orth im Juli 1890 mit seinem Schiff „Santa Margarete“ die Reise von 
Buenos Aires nach Kap Horn angetreten hat, so wird angenommen, daß 
Johann Orth in der Nacht vom 20. auf den 21. Juli 1890 bei Gelegenheit 
eines großen und unerwartet hereinbrechenden heftigen Sturmes mit seiner 
Gattin und der gesamten Schiffsmannschaft zugrunde gegangen ist. Das 
hinterlassene Vermögen beträgt jetzt 32 Millionen Kronen. Erbberechtigt 
sind außer dem Antragsteller auch Leopold Wölfling (früherer Erzherzog 
Leopold Saloator) und 3 Schwestern, darunter Frau Toselli (frühere Kron- 
prinzessin Luise von Sachsen). 
12. Juli. (Böhmen.) Los von Rom. 
Nach den in Röchlitz und Reichenberg abgehaltenen Protestversamm- 
lungen gegen die Enzyklika traten 40 Katholiken zum Protestantismus über. 
13. Juli. (Ungarn.) Borromäus-Enzyklika. 
Im Abgeordnetenhause erklärte auf eine Anfrage des Abg. Thuroczy 
(Regierungspartei) über die Veröffentlichung der Borromäus-Enzyklika durch 
den Erzbischof Varosy der Ministerpräsident Graf Khuen-Hedervary, 
die Regierung werde sich zunächst amtliche Kenntnis der tatsächlichen Vor- 
gänge verschaffen, er glaube aber schon jetzt sagen zu können, daß Vorsätzlich- 
keit ausgeschlossen sei. Auf jeden Fall werde die Regierung es für ihre 
Pflicht erachten, eine Störung des konfessionellen Friedens hintanzuhalten 
und im Falle des Zuwiderhandelns den Frieden wiederherzustellen. Diese 
Antwort wurde zur Kenntnis genommen. 
15. Juli. (Rrakau.) Polenfeier. 
Die Grunwaldfeier zur Erinnerung an die Schlacht bei Tannen- 
berg 1410 nimmt unter Teilnahme von 30000 Personen, auch einiger 
Sokolvereine aus Preußen, einen glänzenden Verlauf. Das von Paderewsky 
gestiftete Jagello-Denkmal wird durch Landmarschall Badeni enthüllt. Er 
sagt u. a.: „Wir wollen heute geloben, auf dem klaren Wege der alltäg- 
lichen, ausopfernden und mühsamen Arbeit weiterzuschreiten, nicht aber auf 
Irrwegen dem Wiederaufleben der Nation entgegenstreben. Nur in diesem 
Teile des ehemaligen Polen ist es uns möglich, an der Entwicklung unserer 
Nation zu arbeiten, und desto eifriger müssen wir die Pflichten, welche uns 
die Geschichte und die Tradition auferlegen, erfüllen.“" Bei dem Bankett 
sprachen 37 Redner, darunter Engländer, Russen, Slovenen, Tschechen und 
Franzosen. Der deutsche Reichstagsabgeordnete Korfanty sagte: 
„Vor 500 Jahren besiegten uns unsere Feinde. Nach 500 Jahren ist dieser 
Feind abermals bestrebt, unserem Volk den Boden und die Seele zu nehmen.
	        
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