Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechsundzwanzigster Jahrgang. 1910. (51)

Bie Ierreichischungrische Mesearchie. (Oktober 4.—13.) 471 
Sokolfestes in Iglau gegen die Deutschen vorgekommenen Ausschreitungen 
objektiv vorzugehen und dem Boykott gegen deutsche Geschäftsleute ein Ende 
zu machen, debattelos abgelehnt. Darauf verlassen sämtliche deutsche Ab- 
geordnete den Saal, so daß der Vorsitzende die Sitzung wegen Beschluß- 
unfähigkeit schließen muß. 
4. Oktober. (Wien.) Besuch des belgischen Königspaares 
bei Kaiser Franz Joseph. 
12. Oktober. Zusammentritt der Delegationen. 
Das gemeinsame Budget für 1910 weist insgesamt ein Netto- 
erfordernis von 423459600 Kronen auf. Nach Abzug des Zollgefäll- 
überschusses von 160911929 Kronen verbleibt ein Gesamterfordernis von 
262547671 Kronen, das von beiden Reichshälften gedeckt wird. Den De- 
legationen wurde auch das bosnische Landesgesetz, betreffend den Voranschlag 
der Verwaltung der Länder Bosnien und der Herzegowina für 1910, vor- 
gelegt. Die Gesamtausgaben betragen 74251 960 Kronen, die Einnahmen 
aus den direkten Steuern, die indirekten Einnahmen und sonstige Einnahms- 
zweige sind mit 74376409 Kronen eingestellt. 
Die Thronrede enthält u. a. einen Passus, „daß die Bündnisse 
mit dem Deutschen Reich und dem Königreich Italien womöglich noch fester 
und inniger geworden sind“. Die Tagung dauert bis zum 18. November. 
4" 13. Oktober. (Delegationen.) Rede des Ministers des 
Außern Grafen Ahrenthal: 
„Die letzte Delegationstagung fiel in eine Zeit, in der die Aktion 
zur Erstreckung der Souveränitätsrechte Sr. Majestät auf Bosnien und die 
Herzegowina eben eingeleitet war. Das der hohen Delegation vorliegende 
Rotbuch gibt Aufschluß über die wichtigsten, im Herbst und Winter 1908/09 
mit den Kabinetten geführten Verhandlungen. 
Der Standpunkt der k. und k. Regierung war immer der, daß die 
Annexionsfrage als eine in erster Linie zwischen uns und der Türkei zu 
regelnde Angelegenheit anzusehen ist. Nach Ueberwindung zahlloser 
Schwierigkeiten ist es gelungen, das Einvernehmen herzustellen. Nachdem 
wir auf diese Weise die materielle Seite der Angelegenheit geregelt hatten, 
erübrigte es noch, derselben mit Rücksicht auf den Artikel XXV des Berliner 
Vertrages formell gerecht zu werden, was dadurch geschah, daß wir die 
Zustimmung der Mächte zur Aufhebung des zitierten Artikels angesucht 
und erhalten haben. Gelegentlich der Verhandlungen in der vorigen Session 
habe ich betont, daß durch die Klarstellung des staatsrechtlichen Verhältnisses 
zu Bosnien und der Herzegowina unsere Beziehungen mit der Türkei nur 
gewinnen könnten. Verwicklungen entspringen sehr leicht aus unklaren Zu- 
ständen. Die große Auseinandersetzung vom Jahre 1866 hätte vermieden 
oder hinausgeschoben werden können, wenn nicht durch den Zankapfel 
Schleswig-Holstein der Konfliktsfall geradezu künstlich geschaffen worden 
wäre. Der zweijährige Krieg zwischen Rußland und Japan war ebenfalls 
eine Konsequenz der nicht klaren Verhältnisse, welche durch die Okkupation 
der mandschurischen Provinzen seitens Rußlands sich ergaben. Wir wollten 
aber ausdrücklich jede kriegerische Verwickelung, speziell mit der Türkei, 
vermeiden. Diese Erwartung ist voll eingetroffen. Wir können dem neuen 
Regime in der Türkei unsere freundschaftliche Unterstützung mit voller 
Objektivität angedeihen lassen, und hierfür besteht in Konstantinopel volles 
Verständnis. Gleich den anderen Mächten haben wir ein lebhaftes Inter- 
esse an der Konsolidierung der Türkei. Wir begleiten die Bestrebungen
	        
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