Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechsundzwanzigster Jahrgang. 1910. (51)

492 Spanien. (Juni 22. —Juli 23.) 
11. Juni zurückgenommen werde, wird von der spanischen Regierung 
schroff abgelehnt. 
22. Juni. Die Regierung läßt sieben Schulen der „Brüder 
der christlichen Lehre“ schließen. 
1. Juli. Der König unterzeichnete das Dekret, das den 
religiösen Eid bei allen bürgerlichen Handlungen abschafft. 
Dagegen protestieren unter Führung der Marquise del Valle 200000 
spanische Frauen durch ein Manifest, in dem es heißt: „Die spanische Frau 
sieht unter den gegenwärtigen Umständen den Glauben bekämpft und die 
Rechte des Heiligen Stuhles und der Kirche bedroht durch diejenigen, die 
sich weder um Gott noch um den Kultus, sondern allein um die Rechte 
der dissidenten Kirchen bekümmern; sie sieht auch, daß man durch eine 
weltliche Erziehung den Glauben aus dem Herzen ihrer Kinder reißen will. 
Tief katholisch, erhebt die spanische Frau Protest.“ 
2. Juli. (Senat.) Kirchenpolitik. 
Ministerpräsident Canalejas führte aus: Die Regierung hätte die 
religiöse Frage nicht angeschnitten, wenn sie nicht geglaubt hätte, sie auch 
lösen zu können. Das Vorgehen der Regierung sei nicht gegen die religiösen 
Gefühle des Volkes, sondern lediglich gegen den Klerikalismus gerichtet. 
Er bedauere die öffentliche Einmischung des spanischen Episkopats, nachdem 
Verhandlungen mit dem päpstlichen Stuhle eingeleitet worden seien. Gleicher- 
weise bedauere er die von spanischen Damen, die in ihrem Katholizismus 
sehr schlecht beraten seien, eingeleitete Bewegung gegen die Regierung. Der 
Ministerpräsident schloß mit der Erklärung, er verlange Zurückhaltung von 
allen, namentlich vom Episkopat. 
2. Juli. Staatshaushaltsvorlage. 
Der Budgetentwurf für 1911 sieht an Ausgaben 1,04 Milliarden 
Pesetas, an Einnahmen 1,13 Milliarden vor. Die Mehrausgaben betragen 
51 ½" Millionen, die Mehreinnahmen 82 Millionen. Der Gesamtüberschuß 
des Budgets beläuft sich auf 85 ½/ Millionen. Sensation erregt der Steuer- 
entwurf auf Erbschaften, der ½ bis 3½ Prozent vorsieht. Entfernteste 
Verwandtschaften werden weit mehr getroffen. Die Steuerreform berührt 
ferner den Grundbesitz, die Dividenden, Minen, persönliche Abgaben auf 
Zucker und Tabak. Die Transportsteuer wird wiedereingeführt. Die Ver- 
brauchssteuern werden wesentlich erleichtert. Bemerkenswert ist eine drei- 
prozentige Steuer auf Kontokorrente. 
3. Juli. Antiklerikale Volksstimmung. 
Kundgebungen der Freude über Canalejas antiklerikale Politik finden 
in der Hauptstadt, in Barcelona, Sevilla, Bilbao, Santander, Valladolid, 
Alicante, Bajadoz, Linares, San Sebastian, Vigo, Malaga, Oviedo, Toledo 
und anderen Plätzen statt. 
19. Juli. Den politischen Flüchtlingen, die sich nach den 
Unruhen in Barcelona nach Frankreich retteten, wird die Rückkehr 
in die Heimat gestattet. 
23. Juli. (Barcelona.) Der frühere Ministerpräsident 
Maura wird bei der Ankunft aus Madrid von einem jungen Mann 
durch Schüsse an Armen und Beinen verwundet.
	        
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