Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechsundzwanzigster Jahrgang. 1910. (51)

Rämische Hurie. (Juni 8. — August 30.) 565 
8. Juni. Zur Borromäus-Enzyklika. 
Der „Osservatore Romano“ veröffentlicht folgende Beschwichtigungs- 
note: „Angesichts der in Deutschland auf Grund irrtümlicher Auslegungen 
und wenig genauer Uebersetzungen der letzten Enzyklika des Papstes zutage 
getretenen Erregung sind wir ermächtigt, sufnendrn zu erklären: Der heilige 
Vater hat in der Enzyklika Editae saepe dei, die aus Anlaß des Gedächtnis- 
tages des heiligen Borromäus veröffentlicht wurde und die darauf ab- 
zielte, die Irrtümer der Modernisten zu bekämpfen, wie sich auch augen- 
scheinlich aus dem Wortlaut ergibt, auch nicht im entferntesten die Absicht 
gehabt, die Nichtkatholiken in Deutschland, sowie ihre Fürsten zu beleidigen. 
In der Enzyklika befinden sich einzig und allein einige historische Urteile 
über die Epoche des heiligen Borromäus, in denen weder Völker noch 
Fürsten eines bestimmten Landes genannt sind. Im übrigen ist zu be- 
merken, daß es sich darin um Katholiken jener Zeit handelt, die sich gegen 
die Lehren und die Autorität des apostolischen Stuhles auflehnten. Wie 
wohlwollend im übrigen die Gefühle des Papstes gegen Deutschland und 
seine Fürsten sind, ist auch in jüngster Zeit sehr deutlich zutage getreten.“ 
12. Juni. Der Papst protestiert gegen das Dekret des 
Königs von Spanien über Gewissensfreiheit. (Siehe Spanien 
11. Junil) 
16. Juni. Als Verfasser der Borromäus-Enzyklika wird der 
Kardinal. Erzbischof Ferrari von Mailand genannt. 
29. Juni. Motu proprio über den Doktoreid. 
Der „Osservatore Romano“ veröffentlicht einen Motu proprio des 
Papstes betreffend den Eid, der von denjenigen zu leisten ist, die zu Doktoren 
der Heiligen Schrift ernannt werden wollen. Die Formel enthält das 
Versprechen, die Grundlehren und die von dem Apostolischen Stuhle und 
der päpstlichen Bibelkommission erlassenen oder noch zu erlassenden Dekrete 
als oberste Richtschnur und Regel für ihre Studien getreulich und voll- 
ständig unverfälscht zu bewahren, als unantastbar zu achten und diese 
Grundlehren und Dekrete niemals zu widerlegen, weder im Unterricht noch 
auf irgendeine andere Weise in Wort oder Schrift. 
13. Juli. Auch Holland gegenüber sucht der Papst die Wirkung 
der Borromäus--Enzyklika abzuschwächen. 
Die liberale italienische Presse spottet über „das dritte Canossa 
des Vatikans“. 
19. August. Der portugiesische Geschäftsträger erklärt dem 
Papst das Mißfallen seiner Regierung über das Verhalten des 
Nuntius in Lissabon. (Siehe Portugal Mitte August) 
20. August. Ein Dekret des Papstes erweitert die bischöflichen 
Machtbefugnisse über den niederen Klerus. 
Die „administrative Absetzung“ kann erfolgen, wenn der Bischof 
und zwei von ihm ernannte „Examinatoren“ mit Majorität dafür sind. 
Die dagegen eingelegte Berufung wird entschieden durch denselben Bischof 
mit zwei, ebenfalls von ihm ernannten „Konsultoren“. 
30. August. Auflösung der französischen religiösen Vereinigung 
„Le Sillon“. (Siehe Frankreich 30. Augustl)
	        
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