Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechsundzwanzigster Jahrgang. 1910. (51)

572 Schweit (April 30.—September 14.) 
Das gleiche Initiativbegehren wurde schon vor zehn Jahren von Räten 
und Volk verworfen. 
30. April. Ein deutsch-schweizerischer Zwischenfall. 
Der preußische Staatsuntertan Gönsch, der sich in Basel nieder- 
gelassen hat, von Beruf Restaurateur, war auf badisches Gebiet gelockt 
und dort wegen vermeintlicher Spionage verhaftet und vier Wochen später 
in Kolmar als unschuldig aus der Haft entlassen worden, wobei man ihm 
eine beträchtliche Geldentschädigung anbot, die er aber nicht annahm. Ein 
badischer Polizeikommissär aus St. Ludwig hatte in Basel wegen dieser 
Affäre Untersuchungshandlungen vorgenommen. Auf Beschwerde des 
Bundesrats gab die deutsche Regierung die Inkorrektheit der Handlung 
des genannten Polizeikommissärs zu und entschuldigte sich. Der Polizei- 
beamte selbst erhielt einen Verweis. Der Bundesrat gibt sich indes mit 
der deutschen Note nicht zufrieden, weil Gönsch unter folgenden Umständen 
von der badischen Polizei auf deutsches Gebiet gelockt worden sei: Beie 
Gönsch erschien eines Tages ein angeblicher Familienvater mit der Mit- 
teilung, sein Sohn sei ihm nach der deutschen Grenze entlaufen; er bat 
Gönsch, ihn seinen Sohn suchen zu helfen, was Gönsch, der mit der 
deutschen Grenze nicht vertraut war, auch tat. Gönsch hatte keine Ahnung, 
daß man ihn unter dem Verdacht der Spionage verfolgte. Als Gönsch 
mit dem angeblichen Familienvater auf badischem Gebiet war, tauchte 
plötzlich ein badischer Gendarm aus dem Gebüsch auf, der Gönsch ver- 
haftete. Bei seiner Entlassung aus dem Gefängnis in Kolmar machte 
Gönsch die Entdeckung, daß der vermeintliche Familienvater ein badischer 
Polizist in Zivil war. 
24. Mai. (Graubündten.) Der Große Rat des Kantons be- 
willigt die von der Regierung beantragte Aufhebung des Automobil= 
verbotes, indem er die nördlichen Zufahrtstraßen bis Chur freigibt, 
in den Alpenstraßen aber weiter den Automobilverkehr verbietet. 
8. Juni. (Bern.) Borromäus-Enzyklika. 
Im Konsistorium erhob ein Mitglied energischen Protest gegen die 
beleidigenden Ausdrücke, deren sich der Papst in seiner letzten Enzyklika 
mit Bezug auf die Reformation und die Reformatoren bedient habe. 
10. Juni. Mehlkonflikt mit Deutschland. 
Im Nationalrat kommt der Mehlzollkonflikt mit Deutschland noch 
einmal zur Sprache. Als Gegenmaßregel werden statt der vom Bundes- 
rat abgelehnten Erhöhung des Mehlzolles Frachtermäßigungen für Ge- 
treide oder gar die Einführung des Getreidemonopols vorgeschlagen. 
24. Juni. Nationalrat und Ständerat nehmen das Gesetz 
an, wonach vom 7. Oktober ab die Fabrikation, die Einfuhr und 
der Verkauf des Absinths und seiner Nachahmungen in der ganzen 
Schweiz verboten werden. 
16. August. Präsident Fallibres besucht den Bundespräsidenten 
Comtesse in Bern. 
14. September. (Genf.) Die Versammlung der Jungegypter, 
in der auch Keir Hardie eine Rede hält, protestiert durch ein Tele- 
gramm an den englischen Premierminister gegen die Zustände in
	        
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