Rußland. (Dezember 8. —Ende.) 601
8. Dezemder. (Duma.) Die Budgetkommission beschließt,
für die Volksschulen im nächsten Jahr 10 Millionen Rubel fest-
zulegen, und diese Summe jedes folgende Jahr um 10 Millionen
Rubel zu steigern, bis 100 Millionen erreicht sind.
13. Dezember. Preßstimmen zur Rede des deutschen Reichs-
kanzlers.
„Nowoje Wremja“: Deutschland entsagt bezüglich des nahen
Ostens seiner Rußland schädlichen Politik, Rußland sagte dafür die Ver-
bindung zwischen Persien und der Bagdadbahn zu. Wir erkennen die voll-
zogene Tatsache von Deutschlands Entgegenkommen an. Es haben nicht
nur Deutschland und Rußland, sondern auch die Türkei und Persien davon
Vorteil. Die Rede habe sich durch eine in der Diplomatie seltene Auf-
richtigkeit ausgezeichnet. Entgegen der Auffassung der französischen Presse
bemerkt das Blatt, die Kanzlerrede „und ein Interview Ssasonows mit
dem Vertreter der „Nowoje Wremja“ ließen in genügender Deutlichkeit
erkennen, was der Sinn der Potsdamer Unterredungen gewesen sei.
13. Dezember. (Petersburg.) Studentenkrawall.
Wegen der im amtlichen Bericht zugegebenen Prügelstrafen, die
über die politischen Gefangenen im ostsibirischen Gebiet Nertschinsk ver-
hängt worden sind und einige von ihnen zum Selbstmord getrieben haben,
findet in der Universität eine Studentenversammlung statt. Die Polizei
verwundet mehrere Teilnehmer im Handgemenge.
21. Degember. (Odessa.) Studentenkrawall.
Eine unerlaubte Versammlung von 300 Studenten empfing die
Polizei, die sie auseinandertreiben sollte, mit Revolverschüssen, worauf eine
Salve der Polizisten folgte. Ein Student wurde tödlich, 8 schwer verletzt;
auch 7 Polizisten und ein Universitätsdiener trugen Wunden davon. Die
Polizei nahm 2140 Studenten in Haft.
30. Dezember. (Duma.) Die Dringlichkeit der Interpellation
über die Studentenunruhen in Odessa wird nach heftiger Debatte
abgelehnt.
Darauf folgt Vertagung bis zum 30. Januar.
Ende Dezember. Die Vorgeschichte der Potsdamer Punktationen.
Uber das Potsdamer Abkommen mit Deutschland in bezug auf
Persien bringt die „Nowoje Wremja“ einige Mitteilungen. Als Aus-
gangspunkt sei eine deutsche Note aus dem Jahre 1907 zu betrachten, die
eine Folge des russisch-englischen Abkommens über die Reibungsmöglich-
keiten in Tibet, Beludschistan, Afghanistan und Persien war. Damals
leilten sich bekanntlich die beiden früheren Rivalen gegenseitig wirtschaft-
liche Interessensphären in Persien zu, so daß nur das Mittelstück dieses
Reiches als unabhängig und neutral gelten konnte. In Petersburg wurde
die deutsche Anfrage, wie sich Rußland zu den vorhandenen deutschen
Interessen stelle, damals nicht beantwortet. Durch den englischen Vorstoß
am 17. Oktober 1910 sei Rußland veranlaßt worden, den deutschen Wünschen
über den zukünftigen Anschluß der Bagdadbahn an das kontinentale
russisch-japanische Bahnnetz näher zu treten. Es sei in Potsdam zu Punk-
tationen gekommen, die durch weitere Besprechungen näher bestimmt und
dann auch völkerrechtlich auf eine sicherere Basis gestellt werden sollen.