Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenundzwanzigster Jahrgang. 1911. (52)

Franreich. (Juni 16.—20.) 419 
16. Juni. (Kammer.) Besprechung der Marokko-Inter- 
pellation. 
Aus der Rede des Ministers Cruppi: Die Franzosen seien nach Fez 
gezogen, weil es der Sultan gewünscht hätte. Sie hätten den Weg durch vrs 
Schauja genommen, weil es der Sultan gleichfalls gefordert hätte. Die in 
Taurirt vereinigten Truppen hätten nicht nach Fez zu marschieren brauchen, 
aber sie hätten ein nützliches und dauerndes Werk geschaffen. Das kluge Vor- 
gehen Frankreichs enthalte keine Verletzung des Algecirasakte. Wir werden, 
fuhr der Minister fort, mit Spanien eine Politik der Entente, des Zusammen- 
gehens verfolgen. Man hat von einem geheimen Abkommen zwischen Frank- 
reich und Spanien gesprochen. Wenn es bestünde, könnte ein Geheimnis, das 
zwei Ländern angehört, von einem von ihnen verletzt werden? Cruppi 
versicherte erneut, daß Spanien wie Frankreich von drei Prinzipien geleitet 
würde, nämlich dem der Aufrechterhaltung der Souveränität und Unabhängig- 
keit des Sultans, dem der Integrität seiner Staaten und dem der wirtschaft- 
lichen Freiheit in Marokko ohne irgendwelche Ungleichheit. Cruppi erklärte 
weiter, die Ereignisse in El Ksar würden keine Aenderung der leitenden Grund- 
sätze zur Folge haben. Er verlas sodann die Note, die Frankreich an die 
Mächte gerichtet hat, in der es erklärt, daß nach der Entsetzung von Fez 
noch übrig bleibe, die Unterwerfung einiger Stämme zu erreichen. Die 
Operationen zur Erreichung dieses Zieles würden auf das unbedingt Not- 
wendige beschränkt werden. Sobald das Werk gesichert und die scherifische 
Armee reorganisiert sei, müsse man mit der herrschenden Unordnung auf- 
räumen, die Hafenpolizei organisieren und den Maghzen reformieren. (Lebh. 
Beifall.) Das Ergebnis der Debatte war ein Vertrauensvotum für die 
Regierung, das mit 434 gegen 77 Stimmen angenommen wurde. 
17. Juni. General Trémeau wird wegen schwankender Gesund- 
heit seiner Stellung als Höchstbefehlender der Armee enthoben. 
17. Juni. (Senat.) Besprechung des Zustandes in der Armee. 
Der Berichterstatter Waddington sprach seine Genugtuung aus, 
daß der ziffernmäßige Rückstand im Vergleich zu Deutschland durch das 
außerordentliche Kontingent von 1909 verringert worden sei. Waddington 
trat für den Versuch einer Aushebung unter gewissen Untertanen in Algier 
und Westafrika und die Ausdehnung der Rekrutierung unter den schwarzen 
Truppen ein. Die auf diesem Gebiet gemachten Versuche hätten keine be- 
friedigenden Ergebnisse gehabt und müßten fortgesetzt und verbessert werden. 
Kriegsminister General Goiran besprach die Effektivstärke und führte aus, 
man dürfe die Aushebung schwarzer Truppen nicht übertreiben. Er ziehe 
das Werbesystem dem System der Aushebung vor. Unsere Reiterei, erklärte 
der Minister weiter, ist ohne Zweifel der deutschen unterlegen, aber sie ist 
besser organisiert als diese. Darauf wurde die Generaldebatte über das 
Budget des Rriegsministeriums geschlossen. 
20. Juni. (Kammer.) Spezialberatung der Wahlreform- 
vorlage. 
Aus der Erklärung des Justizministers Perier: Die notwendige 
Voraussetzung für die fortschrittliche Entwicklung unseres Wahlsystems ist 
das Bestehen von starken und unzweidentig abgegrenzten Parteien. Deshalb 
ist es ein Gebot der Klarheit, daß die jetzige Sachlage, welche die ver- 
schiedensten Parteien in unerwarteter Weise auf dem Boden der Wahlreform 
vereinigt, ein Ende nehme. An ein neues Wahlsystem muß man die Forde- 
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