440 Frauktei. (November 9., 10.)
Belgien, auch England; alle Mächte werden im Elel vor einem Vertrag
und vor einer Lösung leben, die weder billig noch dauerhaft ist und keine
andere Daseinsberechtigung hat als die, daß die Urheber ihrer eigenen
Unfähigkeit müde geworden sind. Ob das Parlament sie gutheißt oder
nicht, die französisch-britisch-deutschen Unterhandlungen sind darum nicht
minder gescheitert. Die Abmachung, zu der sie geführt haben, ist nicht
lebensfähig, alles wird später wieder von vorn anzufangen sein.“ — Der
„Temps“ erklärt: „Weder hüben noch drüben sollte man an ein Trium-
phieren denken. Es handelt sich um eine Liquidierung, aus der jeder
Nutzen ziehen kann, wenn die Voraussicht und das Vertrauen in der Zu-
kunft größer wird, als es in der Vergangenheit war. Das deutsch-französische
Abkommen ist ein noch zu schaffender Wert, und beide Länder haben in
diesem Betracht dieselben Pflichten zu erfüllen.“
9. November. Die Presse zum spanisch-französischen Geheim-
vertrag.
Die Pariser Zeitungen erkennen sehr gut die Gefahr, die die Politik
Delcasses herbeiführen mußte, und sie protestieren fast ohne Ausnahme da-
gegen, daß derartige folgenschwere Verträge von einem einzigen Minister
abgeschlossen werden können, ohne daß die Mitglieder der Regierung und
des Parlaments davon Kenntnis erhalten. Aus der Art, wie England
und Frankreich mit Spanien zusammen im Jahre 1904 über Marokko
disponiert haben, geht aber auch hervor, daß die Intervention Deutsch-
lands, wenn sie wirklich auf eine Festsetzung in Marokko ausgegangen wäre,
unbedingt zu einem europäischen Kriege hätte führen müssen, und es ist
heute erst recht unverständlich, warum die deutsche Diplomatie den Kaiser
damals veranlaßte, seine schützende Hand auf den Sultan zu legen, wenn
man nicht entschlossen war, die Unabhängigkeit Marokkos im äußersten
Falle mit den Waffen zu verteidigen.
10. November. Zu den Abmachungen mit Spanien über
Marokko.
Der Minister des Aeußern de Selves erklärt in der Konferenz
für auswärtige Angelegenheiten: „Die Loyalität gebietet mir zuzugestehen,
daß ich die Konferenz gestern über das Verhalten meines Vorgängers Cruppi
in der französisch-spanischen Streitsache mangelhaft unterrichtet habe. Die
Interessen Frankreichs sind von Cruppi durch einen vollgültigen Protest
gegen die spanische Okkupation von Larrasch und Elksar gewahrt worden.
Wenn ich gestern das Gegenteil behauptete, so lag dies an dem Umstand,
daß der politische Direktor meines Ministeriums zur Zeit, da der Cruppische
Protest erfolgte, fern von Paris weilte und daher ohne Kenntnis dieses
Protestes mir gestern keine ausreichende Auskunft geben konnte.“ Mehrere
Komitcemitglieder sprachen ihr Befremden darüber aus, daß Herr de Selves,
bevor er sich in die gestrige Komiteesitzung begab, nicht direkt seinen Amts-
vorgänger, den gegenwärtigen Justizminister Cruppi, befragt habe, wie es
sich eigentlich mit jenem Protest verhielt. Einige der Herren sprachen bei
diesem Anlaß von anarchischen Zuständen im Ministerium des Aeußern. —
Von zuständiger spanischer Seite wird hierzu versichert, daß der spanische
Geschäftsträger im April d. J. dem politischen Direktor im französischen
Ministerium des Aeußern, Herrn Bapst, von der Absicht Spaniens, Larrasch
und Elksar zu besetzen, amtliche Mitteilung machte, und daß der genannte
politische Direktor die Mitteilung einfach zur Kenntnis nahm. Der fran-
zösische Protest sei erst im Juni erfolgt, als die spanischen Truppen schon
vor Larrasch standen.