Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenundzwanzigster Jahrgang. 1911. (52)

442 ##mreic (November 15.—20)) 
waren. Richtig wäre nur, daß Sir Edward Grey bei den diplomatischen 
Empfängen dem Botschafter Grafen Wolff-Metternich nicht verhehlt habe, 
wie sehr er die Bewegung vor Agadir tadle, und daß er nötigenfalls mit 
der ganzen Macht Englands Frankreichs Sache gegen Deutschlaud unter- 
stützen werde. Da Deutschland, auch nachdem Sir Edward Grey seine 
Bemerkung gegenüber dem Botschafter wiederholt hatte, die einzige Ant- 
wort, die der englische Minister erwartete, nicht erteilte, d. h. den „Panther“ 
nicht abrief, wurde die Lage sehr gespannt. In jenem Augenblick schrieb der 
ar an den Deutschen Kaiser, und höchstwahrscheinlich tat König Georg von 
gland dasselbe. Beide Herrscher lenkten die Aufmerksamkeit des deutschen 
Kaisers auf die Gefahren der Lage. Die im englischen Ministerrat be- 
schlossene und genau festgestellte Rede des Ministers Lloyd George stellte 
die letzte feierliche Warnung dar. Wenn die Lage sich damals nicht auf- 
geklärt hätte, so wäre England nur die Absendung des Ultimatums nach 
Berlin übrig geblieben. 
15. November. Rede des Ministerpräsidenten Caillaux über 
das Marokko--Abkommen. 
Beim Jahresbankett des republikanischen Komitees für Handel und 
Industrie äußerte sich der Ministerpräsident in seiner Eröffnungsrede: „An 
die Republik und an Frankreich haben wir während der letzten Monate, in 
denen die Verhandlungen mit Deutschland vor sich gingen, zu denken nicht 
aufgehört, und wir sind bei diesen Verhandlungen ständig besorgt gewesen — 
ich bediene mich mit Absicht dieses Ausdrucks — um die Würde und die 
Ehre Frankreichs. (Lebh. Beifall.) In einigen Wochen, wenn ich den 
Stolz haben werde, auf der Parlamentstribüne das vollendete Werk zu ver- 
teidigen und laut die Verantwortung dafür auf mich zu nehmen, wird es 
mir nicht schwer werden, klar darzutun, daß das unter Wahrung und 
Sicherung des Friedens erzielte Abkommen eine Lösung herbeigeführt hat, 
die ich als vorteilhaft für beide Teile bezeichne, und die, wie die jüngst im 
Auslande eingetretenen Ereignisse beweisen, bestimmt nicht unvorteilhaft für 
Frankreich ist. Ich werde dann das Recht und den begründeten Stolz 
haben zu zeigen, daß die Trikolore jetzt an den Ufern des alten Atlan- 
tischen Ozeans weht, und daß Frankreich auf afrikanischem Boden, wo das 
alte Rom seine besten Soldaten gefunden hat, mit voller Sicherheit seine 
unbestrittene Herrschaft bis Tripolis wird ausdehnen können.“ 
16. November. Im Ministerrat teilte der Minister des Außern 
de Selves mit. daß England und Rußland ihre Zustimmung zum 
deutsch-französischen Abkommen amtlich erklärt haben. 
19. November. Zunehmende Entvölkerung Frankreichs. 
Nach der vom Ministerium der öffentlichen Arbeiten und sozialen 
Fürsorge veröffentlichten Statistik betrug die Zahl der Geburten in Frank- 
reich im ersten Semester des Jahres 385999, die der Todesfälle 404278. 
Dieses Ergebnis, bemerkt der „Temps“, sei um so beklagenswerter, als im 
ersten Semester vorigen Jahres die Geburten gegenüber den Todesfällen 
einen Ueberschuß von 21 189 aufwiesen. 
20. November. (Kammer.) Festsetzung des Datums für die 
Beratung der Interpellation Bouge betr. die Unordnung im Aus- 
wärtigen Amt. 
De Selves schlug als Datum den Tag der Interpellationen über 
die auswärtige Politik vor. Bouge antwortete, daß die Angelegenheit 
 
	        
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