Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenundzwanzigster Jahrgang. 1911. (52)

448 Eraukreit. (Dezember 18.) 
in Marokko Privilegien verlangen. (Beifall.) Das Verhältnis zu Spanien 
muß auf der Basis des geschlossenen Abkommens, mit Rücksicht auf die 
späteren Ereignisse, in Wahrung französischer Interessen, aber ohne Preis- 
gabe der herzlichen Freundschaft geregelt werden. Nur wird eine Ver- 
ständigung zwischen den Mächten unerläßlich sein, damit Spanien Herr in 
seiner Zone bleibe.“ Es sei natürlich, daß England sich in die Verhandlungen 
gemischt habe, aber das eigene Interesse sei der Maßstab der einzelnen wie 
der Staaten. Es wäre eine schlechte Vorbereitung des Landes für furcht- 
bare Möglichkeiten, wenn man es mit Hirngespinsten hinhalten wollte. Wir 
dürfen diejenigen, die in schweren Stunden an unserer Seite gestanden 
haben, nicht enttäuschen. Wir müssen unseren Freundschaften und unserem 
Bündnis, die gegen niemand eine Spitze haben, treu bleiben. Millerand 
spricht sodann seine Befriedigung über die Vertragsbestimmung aus, welche 
für den Fall von Streitigkeiten die Anrufung des Haager Schiedsgerichts- 
hofs in Aussicht nimmt. Das beweise, daß Frankreich keine Hintergedanken 
habe. Der Friede sei für Frankreich das sicherste und das erwünschteste 
Mittel zur Entwicklung seiner Ideen, aber es verstehe darunter nicht den 
Frieden ohne Ehre und werde ihn nie darunter verstehen. Im Vertrauen 
auf seine Stärke, sicher seiner Freundschaften und seines Bündnisses, weil 
die Freunde und der Verbündete wüßten, daß auch sie auf Frankreich zählen 
könnten, sei Frankreich gleichermaßen entschlossen, die Rechte anderer zu 
achten und seinen eigenen Rechten Achtung zu verschaffen. Es werde diesen 
Vertrag halten mit dem sorglichen Bemühen, alle Konfliktsmöglichkeiten zu 
vermeiden, aber mit dem Entschluß, aus dem Vertrag alle eingegebenen 
und nützlichen Konsequenzen zu ziehen. (Anhaltender Beifall.) 
18. Dezember. (Kammer.) Rede des Ministerpräsidenten 
über die Marokkopolitik. 
Zunächst erklärt der Ministerpräsident Caillaux mit erhobener 
Stimme im Namen aller Mitglieder der Regierung, diese nehme die Ver- 
antwortung für das Abkommen auf sich. Die Regierung habe keinen anderen 
Plan gehabt als den, das bald hundertjährige Werk der Errichtung 
eines großen französischen Reichs in Nordafrika weiter zu verfolgen 
und vielleicht zu vollenden, indem sie endgültig Marokko für Frankreich 
erschloß. (Beifall.) Im vollen Bewußtsein der Folgerichtigkeit ihrer aus- 
wärtigen Politik habe die Regierung sich vorgenommen, geleitet von den 
Ereignissen, ein Glied mehr an die Kette der Verwirklichungen dieses Planes 
zu fügen. (Beifall.) Jules Ferry habe gesagt, daß Tunis der Schlüssel zu 
Frankreichs Stellung in Algier sei; das gelte ebenso von Marokko. Algier, 
Tunis und Marokko bildeten wirtschaftlich, ethnologisch und für den Handel 
ein Ganzes. Caillaux erinnert sodann an die Abkommen mit England und 
Spanien und bemerkt, Frankreich habe sich demgemäß die Freiheit in 
Marokko erkauft gehabt, als die Ereignisse von 1905 eintraten. Der deutsche 
Reichskanzler habe vor einigen Tagen die deutschen Beschwerden nochmals 
wiederholt. Er, Caillaux, beabsichtige nicht, sich in eine nutzlose Kontroverse 
über diesen Gegenstand einzulassen. Er wolle sich nicht vorwerfen lassen, 
daß er die Polemik von neuem belebe. Das Einschreiten Deutschlands 
habe Frankreich für einen Augenblick von seiner nationalen Aktion in Ma- 
rokko abgedrängt und es veranlaßt, sie einer internationalen Verwirklichung 
zuzuführen. Die Algecirasakte habe das besondere Interesse Frankreichs 
anerkannt, ihm aber nicht die Mittel gegeben, es zu verteidigen oder die 
Ordnung zu sichern. Von 1907 ab habe man konstatieren müssen, daß die 
Algecirasakte Frankreich verhindere, auf der Höhe seiner Aufgabe zu stehen, 
und so habe man die Rückkehr zu dem nationalen Programm von 1904 
 
	        
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