Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenundzwanzigster Jahrgang. 1911. (52)

Fr##treich. (Dezember 18.) 449 
ins Auge gefaßt. Frankreich habe versucht, die Bestimmungen der Algeciras- 
akte mit seinem Entschluß in Einklang zu bringen, die einzige seinen Inter- 
essen angemessene praktische Politik wieder aufzunehmen, die einzige Politik, 
die eines großen Landes wie Frankreich würdig war. (Beifall.) Der erste 
Versuch in dieser Richtung habe zu dem Abkommen von 1909 geführt. 
Aus diesem Abkommen hätten mit Notwendigkeit Schwierigkeiten entstehen 
müssen. Es habe sich gezeigt, daß das Abkommen von 1909 zu keinem 
brauchbaren Ergebnis führen würde. So sei die Situation gewesen, als 
die Regierung ihre Entschlüsse fassen mußte. Wir haben Rabat, Mekines 
und Fez besetzt. Wir hatten die Verpflichtung, Fez wieder zu räumen. 
Aber konnten wir das tun, ohne das Recht der französischen Intervention 
in den Augen der Marokkaner zu kompromittieren? Der Erfolg des Auf- 
standes, die Anarchie, war sicher. Was sollte man tun? Eine Konferenz 
einberufen? Abgesehen davon, daß die Lösung durch eine Konferenz viel- 
leicht nicht unseren ganzen Wünschen entsprochen hätte, war von gewissen 
Seiten die Zustimmung zu einer Konferenz an unannehmbare Bedingungen 
geknüpft. Warum hätten wir uns also weigern sollen, in direkte Verhand- 
lungen einzutreten? Wir mußten die politische Hypothek von Algeciras und 
die wirtschaftliche Hypothek des Abkommens von 1909 beseitigen. Dazu 
gab es nur ein Mittel: zu bezahlen, wie wir es 1904 getan haben. (Murren. 
auf der Rechten.) 
Ich weiß wohl, man hat gesagt, wir hätten von Deutschland ein 
Marokko gekauft, das ihm nicht gehörte. Gehörte es aber etwa den anderen 
Mächten mehr, deren Désintéressement wir im Jahre 1904 erkauft haben? 
(Jaurès: Italien?) Dieses Abkommen datiert von 1900. Man hat zuerst 
vom Kongo gesprochen. Caillaux führt dann aus, wie schmerzlich das 
gebrachte Opfer sei. Aber es gebe in der Geschichte zahlreiche Vorgänge. 
zitiert diese Vorgänge und fügt dann hinzu: Ich erkläre andererseits 
was schon der Minister der Auswärtigen Angelegenheiten gesagt hat, daß 
wir nicht die ersten gewesen sind, die vom Kongo gesprochen haben. Man 
hat mit uns am 10. Juli d. J. davon gesprochen, und seit 1905 hat Deutsch- 
and zuerst mit Delcassé darüber gesprochen, wie der deutsche Staatssekretär 
im Reichstage erklärt hat. (Jaures: Wovon war denn in Kissingen die 
Rede?) Von wirtschaftlichen Fragen. Die jetzt zur Beantwortung stehenden 
Fragen sind folgende: Was hat uns das Abkommen gekostet? Sind wir 
von den Zweideutigkeiten der Vergangenheit befreit? Haben wir zu teuer 
bezahlt? Haben wir genug erhalten? (Anhaltender Beifall.) Caillaux 
bemerkte, er werde nicht versuchen, die abgetretenen Gebiete schlecht zu 
machen. Wenn man uns vorwirft, daß wir nicht genug Vorteil aus diesen 
Gebieten gezogen hätten, so antworte ich: Die Republik, die die Fehler 
früherer Regierungen gutzumachen hatte, hat nicht in wenigen Jahren überall 
gleichmäßig diese gewaltigen Gebiete nutzbar machen können. Gewiß, es 
ist grausam, diese Gebiete aufgeben zu sollen, wo der friedliche Heroismus 
de Brazzas und seiner Nachfolger sich betätigt hat. Aber es liegt ein Trost 
in dem Gedanken, daß sie uns die Möglichkeit gegeben haben, unserem 
afrikanischen Reiche prachtvolle Fassade zu geben. Man hat gesagt, wir 
würden nichts als ein gefesseltes, verstümmeltes Marokko erhalten, das 
Phantom eines Protektorats. Deutschland habe uns mit der einen Hand 
genommen, was es uns mit der andern gab. Darauf antworte ich: Unter 
wirtschaftlichem Gesichtspunkte erhalten wir mehr als wir unter anderen 
Umständen erhalten haben. Wir erhalten eine Situation, besser, als sie 
andere Länder in ihren eigenen Kolonien haben. Unter politischem Gesichts- 
punkte erhalten wir mehr, als wir durch den Vertrag von Bardo erhalten 
haben. Caillaux führte dann aus, daß er den Rechtsgelehrten Louis Renault 
Europäischer Geschichtskalender. LII. 29
	        
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