Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenundzwanzigster Jahrgang. 1911. (52)

452 Fra#lich. (Dezember 20.—28.) 
(Stürmischer Beifall auf der äußersten Linken. Viele Deputierte blicken nach 
der Diplomatenloge, wo der österreichische und der italienische Botschafter 
sitzen.) Frankreich sei an diesem Zustand mit Schuld, denn 1900 habe es 
sich mit Italien darüber verständigt, daß Frankreich Marokko und Italien 
Tripolis nehmen dürfe. (Großer Lärm.) Ja, ich beklage, daß Frankreich 
seinen Anteil an der Verletzung beschworener Verträge hat. (Großer Lärm. 
Jaurès wird vom Kammerpräsidenten Brisson zur Ordnung gerufen. Er 
fährt fort:) Diese patriotische Entrüstung hat immer diejenige Partei aus- 
Heichnet, welche das Vaterland ins Verderben gestürzt hat. (Größter 
umult. Die Radikalen machen Miene, den Saal zu verlassen, kehren aber 
auf ein Zeichen Caillaux' auf ihre Plätze zurück.) Jaures wiederholt unter 
andauerndem Lärm, daß er die gegen die Nation begangenen Attentate tief 
beklage. Hierauf wird die Sitzung unter großer Erregung geschlossen. 
20. Dezember. (Kammer.) Annahme des franzöfisch-deutschen 
Abkommens über Marokko mit 393 gegen 36 Stimmen. 
21. Dezember. (Kammer.) Annahme eines Finanzgesetzes, 
welches das Arbeiter-Pensionsgesetz abändert, namentlich dahin, daß 
die Alterspension bereits vom 60. Lebensjahre an bezogen und die 
Staatszulage von 75 auf 100 Franken erhöht wird. 
22. Dezember. (Senat.) Der Gesetzentwurf über die Ratifi- 
zierung des Marokkoabkommens wird an eine Kommission von 
27 Mitgliedern überwiesen. 
Berichterstatter wird Poincaré. 
22. Dezember. (Toulon.) Das Kriegsgericht spricht den 
Schiffskommandanten Jaurds und drei andere angeklagte Offiziere 
von der Beschuldigung frei, indirekt die Katastrophe auf der 
„Liberté“ verschuldet zu haben. 
27. Dezember. (Kammer.) Das Budget für 1912. 
Es weist 4499303866 Franken Einnahme gegen 4 498841550 Franken 
Ausgabe, somit einen Ueberschuß von 462316 Franken auf. 
4" W. Dezember. (Senat.) Mitteilungen des Ministers des 
Außern de Selves in der Budgetkommission über den Marsch auf 
Fez und die Verhandlungen mit Deutschland. 
Der Minister verlas ein Exposé und Dokumente, aus denen 
hervorgeht, daß die französische Intervention stattfand nach genau präzisierten 
Schritten nicht nur des französischen Konsuls, sondern auch der Konsuln 
von England, Spanien und Italien, nachdem diese Konfsuln sowie der 
deutsche Konsul wegen des Ernstes der Lage ihren Landsleuten geraten 
hatten, Fez sobald wie möglich zu verlassen. Der deutsche Konsul hatte 
nicht eine Intervention seitens Frankreichs gefordert, war aber bei der An- 
kunft der Mahalla Brémont in Fez einer der ersten, der den Kommandanten 
wegen seiner Geschicklichkeit beglückwünschte. In Erwiderung auf die An- 
frage, ob Frankreich sich nicht mit Spanien wegen eines gemeinsamen 
Marsches ins Einvernehmen gesetzt habe, erklärte Caillaux, Spanien hätte 
diesen gewünscht, aber die französische Regierung habe es vorgezogen, allein 
zu handeln. Darauf verbreitete sich de Selves über die Besprechungen mit 
Deutschland. Als Cambon eine Unterredung bezüglich Marokkos in Berlin
	        
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