Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenundzwanzigster Jahrgang. 1911. (52)

érankreiq. (Dezember 28., 29.) 453 
mit dem Reichskanzler von Bethmann Hollweg begonnen hatte, wies ihn 
dieser an den Staatssekretär des Aeußern von Kiderlen-Wächter, der damals 
in Kissingen war. Kiderlen-Wächter war anfangs außerordentlich zurück- 
altend und stellte unannehmbare Forderungen, z. B. die Besetzung von 
ogador durch Deutschland. Als Cambon diese Forderungen zurückgewiesen 
gatte kam Kiderlen-Wächter schließlich darauf, ihm zu sagen, daß, wenn 
rankreich wirklich eine Entente wolle, es nötig sein würde, mit Deutsch- 
land von etwas anderem als von Marokko zu srechen. Er sprach zuerst, 
wie es scheint, das Wort Kompensation in einem Briefe, den er im Juni 
an Cruppi richtete. Cambon ließ erkennen, daß er gemäß den Absichten 
handele, die ihm der Minister zu erkennen gegeben hatte. 
In diesem Augenblick wurde die Sitzung unterbrochen. 
. 28. Dezember. (Senat.) Weitere Mitteilungen des Ministers 
des Außern de Selves in der Kommission über die Verhandlungen 
mit Deutschland. 
Die Unterredungen seien sehr höflich gewesen, der Reichskanzler habe 
großes Entgegenkommen gezeigt. Der Staatssekretär habe anerkannt, daß 
unter der Voraussetzung wirtschaftlicher Gleichberechtigung dieses Abkommen 
eine Verzichtleistung der deutschen Politik in sich schließe. Der Staatssekretär 
habe dem Botschafter gesagt, daß die zwischen den beiden Ländern schweben- 
den Fragen gelöst werden müßten. Der Botschafter habe festgestellt, daß 
auch die Politik der Nadelstiche dann aufhören müsse. Darauf habe der 
Staatssekretär erwidert: „Ja, das ist wahr, aber dann wollen wir unsere 
Unterhaltung nicht auf Marokko beschränken; ein Uebereinkommen über diesen 
Punkt allein erscheint unmöglich.“ Cambon erwiderte: „Sie haben in 
Mogador nichts zu tun, die öffentliche Meinung Frankreichs würde das 
nicht zulassen. Eine bessere Methode wäre es doch, anderswo zu suchen. 
Ich kann dem nichts hinzufügen. Ich will darüber mit meiner Regierung 
sprechen.“ In dem Briefe, in dem Cambon von dieser Unterredung Cruppi 
Mitteilung macht, sagt der Absender: „Ich habe den Direktiven gemäß 
gehandelt, die Sie mir gegeben haben.“ — Während des Exposés, das 
de Selves über die Verhandlungen zwischen Frankreich und Spanien seit 
Ende 1910 bis Juli 1911 gab, kam es zu einem Zusammenstoß zwischen 
Poincaré und de Selves. Poincaré erklärte, daß fünf Dokumente fehlten. 
Aus den von de Selves verlesenen Schriftstücken geht hervor, daß Cruppi 
von dem Geschäftsträger in Fez von dem Schritt des Machsen in Kenntnis 
gesetzt wurde, der darauf abzielte, daß Frankreich sich dem Protest des 
Machsen gegen Spanien anschließe. Cruppi telegraphierte dem Geschäfts- 
träger, er möge dem Sultan mitteilen, daß er seinen Protest gegen Spanien 
nicht erneuern solle. Cruppi teilte der Kommission mit, daß er sich eine 
Erklärung über sein Vorgehen vorbehalte. De Selves versprach, die fünf 
Schriftstücke aufsuchen zu lassen, die ihm noch fehlten. Poincaré bemerkte, 
die Regierung müsse der Kommission alle Schriftstücke mitteilen; wenn sie 
das nicht tue, könnte man vielleicht sagen, daß das Dossier de Selves' 
lückenhaft sei. 
29. Dezember. Blättermeldungen über einzelne Punkte der 
Marokkoverhandlung im Senat: 
1. Nach dem „Matin“ resümierte der Minister des Aeußern die 
Kissinger Unterredung zwischen Kiderlen und Cambon am 21. Juni 
1911 wie folgt: Kiderlen: „Ihr seid nach Fez gegangen und werdet dort 
verbleiben. Deutschland will auf seine Marokkoansprüche verzichten, aber
	        
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