Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenundzwanzigster Jahrgang. 1911. (52)

Ilalien. (August 27.—September Anfang.) 463 
Für das erste Halbjahr 1911 werden 145 641 Auswanderer nach 
überseeischen Gebieten (gegen 184 993 im ersten Halbjahr 1910) gezählt. 
Die Zahl der Rückkehrenden beträgt 74 219, gegen das erste Halbjahr von 
1910 rund 20200 mehr. — Wegen der Maßnahmen, die Uruguay gegen 
die italienischen Auswanderer ergriffen hat, wird die Auswanderung dort- 
hin verboten. 
27. August. Erinnerung an die Tripolis-Verträge mit 
Frankreich. 
Der „Corriere d’ Italia“ nimmt Stellung zu der Marokkofrage 
und fordert die Regierung auf, bei dieser Gelegenheit in der Tripolisfrage 
energische Schritte zu tun. Es vereinbare sich durchaus nicht mit dem 
Standpunkte Italiens, daß Deutschland und Frankreich sich in Marokko 
teilen, während Italien hierbei leer ausginge. — Das „Giornale 
d'’ Italia“ meint, nachdem Deutschland die Tunisierung von Marokko 
zugebe und das Protektorat über den Islam niederlege, werde es sich auch 
nicht gegen die Erfüllung des zwischen Frankreich und Italien 1903 ab- 
geschlossenen Tripolisvertrages sträuben; es sei Zeit, daß Italien an die 
Realisierung der Rechte dieses Vertrages denke. 
30. August. Italiens Mittelmeerpolitik. 
Die Turiner „Stampa“ bringt zur Marokkofrage die wichtige 
Nachricht, Italien habe in Berlin, London und Paris seine Ansprüche an- 
gemeldet, für den Fall, daß Veränderungen im Mittelmeer eintreten. „Kein 
anderer Staat“, sagt die „Stampa“, „ist so sehr Mittelmeermacht wie 
Italien. Wegen seiner Mittelmeer-Interessen ist es in den Dreibund ein- 
getreten und hat das unglückliche Abkommen mit Frankreich und England 
getroffen.“ Nach der „Stampa“ ist dieser Schritt Italiens auf direkte 
Veranlassung Giolittis erfolgt. 
8. September. Abschätzung der Haltung der Mächte im Falle 
einer Tripolis-Aktion. 
„Giornale d'’ Italia“ kommt zu dem Resultat: England könne 
sich ihm nicht gut widersetzen, da es ausdrücklich die überwiegenden Inter- 
essen Italiens in Tripolis anerkannt habe. Von Deutschland verlangen, 
es solle seine formelle Zustimmung zu der Amputation der türkischen Provinz 
geben, sei naiv. Andererseits müßte Deutschland mit Recht befürchten, daß 
auch Frankreich auf Tripolis die Hand legen könnte. Rußland sei im 
Bereich der englisch -französischen Entente Italiens Freund. Oesterreich 
fürchte als Konsequenz Balkan-Komplikationen, aber es sei anzunehmen, 
daß Italien genügend wisse, daß hiervon keine Rede sein könne. Die 
militärische Lage Italiens sei günstig. Wenn die Regierung in diesem 
historischen Augenblick nicht handele, wo es sich um die Zukunft des Vater- 
landes handle, so bekunde sie einen unglaublichen Mangel an Mut. 
Anfang September. (Florenz.) Gründung einer monarchisch- 
nationalen und liberalen Partei im Gegensatz zu Giolitti. 
Das Programm der neuen Partei will eine entschiedene Bekämpfung 
des Versicherungsmonopols und der Wahlreform, wie sie Giolitti zum Vorteil 
der Analphabeten vorgeschlagen hat; es verlangt eine entschiedene auswärtige 
Politik, d. h. eine Entscheidung in der tripolitanischen Frage zugunsten 
Italiens. Das bedeutet im gegenwärtigen Augenblick eine entscheidende 
Absage an Frankreich und eine ebenso entschiedene Betonung der Dreibunds- 
zugehörigkeit in der Marokkofrage.
	        
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