Belgien. (Juni 20. —Juli 27.) 477
20. Juni. (Kammer.) Der Ministerpräsident verliest sein
Regierungsprogramm.
Die Regierung wende ihre Aufmerksamkeit besonders dem Kinder-
schutz, den Arbeiterpensionen sowie der Förderung des Mittelstandes und
der Vermehrung des kleinen Besitzes zu. Auch die Lage der Beamten solle
gebessert und noch heute ein Gesetz über die Offizierspensionen eingebracht
werden. Eine bessere Kontrolle der Ausgaben durch den Rechnungshof solle
gewähreeistet werden. Ueber den Ausbau der Wasserstraßen und der Ver-
hrswege zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung solle eine be-
sondere Kommission beraten und Beschlüsse fassen. Bezüglich des Schul-
gesetzes erklärte der Ministerpräsident, daß die Frage mit Ruhe und Ueber-
legenheit geprüft werden solle, um durch Abänderungsanträge zu einer
Verständigung zu gelangen. Im Kongo soll auf dem bewährten Wege
zu einer stets engeren wirtschaftlichen Verbindung mit dem Mutterlande
weitergegangen werden, auch solle die Entwicklung der Kolonie nur vom
Geiste des Fortschritts und der Zivilisation vorgezeichnet sein. Nach dem
Ergebnis der letzten Volkszählung entspreche es den Grundsätzen der Ge-
rechtigkeit, die Parlamentssitze zu vermehren. Der Ministerpräsident schloß
mit der Aufforderung an das Parlament, das Budget nunmehr zu be-
willigen, um einen regelmäßigen Gang der Staatsgeschäfte zu ermöglichen.
1. Juli. Ergebnis der Volkszählung vom 1. Januar 1911.
Nach der Veröffentlichung im „Moniteur“ beträgt die gesamte Ein-
wohnerzahl 7516 730. Auf die neun Provinzen verteilt, zeigt sich, daß die
Provinz Brabant mit 1505214 Einwohnern die größte Bevölkerungszahl
aufweist, dann folgt Ostflandern mit 1123755, Hennegau mit 1210525,
Antwerpen mit 989380, Westflandern mit 881033, Lüttich mit 899 123,
Limburg mit 277582, Namur mit 365606 und Luxemburg mit 234212.
Die größte Stadt des Landes ist Antwerpen mit 320640 Seelen; die
Hauptstadt Brüssel hat ohne die sie umgebenden Vorstädte 195 670, mit
den Vorstädten 717455 Einwohner. Die nächstgrößten Städte des Landes
sind Lüttich und Gent mit 174768 bezw. 165 149 Einwohnern.
21. Juli. (Kammer.) Reformen für den Kongostaat.
Die Kammer genehmigt das Abkommen mit der Kassai-Gesellschaft,
aus der der belgische Staat gegen eine Vergütung von 11 Millionen Francs
ausscheidet. Ferner hat der belgische Staat mit den Konzessionsgesellschaften
Abir und Anversoie ein Abkommen getroffen, daß beide Gesellschaften, die
zu König Leopolds Zeiten die schlimmste Ausbentung der Eingeborenen
betrieben haben, ihr Monopol verlieren und in Zukunft nur Faktoreien
betreiben dürfen.
25. Juli. (Senat.) Stand der Landesverteidigung.
Der Kriegsminister erklärt, daß alles Erforderliche geschehen sei
und daß die Festungen an der Maas im Falle eines Einmarsches fremder
Trupppen ernstliche Hindernisse böten. Die allgemeine Dienstpflicht jetzt
einzuführen, sei unmöglich. Die Kriegsstärke des Heeres von 178000 Mann
sichere die Verteidigung des Landes.
26. Juli. (Brüssel.) Besuch der Königin Wilhelmina der
Niederlande.
27. Juli. Die Ratifikationsurkunden zu dem am 11. August
1910 mit Deutschland abgeschlossenen Vertrage über die Grenzen
zwischen Deutschostafrika und der Kongokolonie werden ausgetauscht.