478 Belsien. (August 15.—November 6.)
15. August. (Brüssel.) Massendemonstration der Sozialisten
und Liberalen gegen den Schulgesetzentwurf der klerikalen Regierung
und gegen das Pluralwahlrecht.
245 000 Personen nahmen teil und leisteten den Eid: „Wir schwören,
ohne Rast und Ruh' kämpfen zu wollen bis zur Niederlage des Schollaert-
schen klerikalen Schulgesetzes, bis zur Verwirklichung des allgemeinen gleichen
Stimmrechtes und zur Einführung des obligatorischen Schulunterrichts.“
27. August. (Löwen.) Klerikale Kundgebung für das
Schulgesetz.
70 000 Menschen, darunter fünf Minister und andere Mitglieder des
früheren Kabinetts (auch der gewesene Ministerpräsident Schollaert) und
86 Parlamentarier nehmen daran teil.
1. September. Ausschreitungen der Frauen gegen die Bauern
auf den Wochenmärkten wegen der Teuerungspreise.
1. September. Mobilisierungen, die allgemein auf die gespannte
politische Lage zurückgeführt werden, werden offiziell mit Festungs-
manövern motiviert, durch die für eine Reform des Verteidigungs-
systems Anhaltspunkte gewonnen werden sollen.
14. September. Aufsehen erregt die Einberufung der Reservisten
der Jahrgänge 1906,8.
Die Ordre wird aber tags darauf rückgängig gemacht. Infolge-
dessen meutern in der Infanteriekaserne zu Gent Reservisten, weil die
Regierung sie vorläufig nicht entlassen will. Die Vorgesetzten werden aus-
gepfissen.
14. Oktober. Der Dichter Maurice Maeterlinck erhält den
Nobelpreis für Literatur.
6. November. Befürchtungen in der Presse über das Vor-
kaufsrecht für die Kongo-Kolonie.
Der sozialistische Führer Vandervelde, der zugleich Präsident des
Internationalen Sozialistischen Bureaus ist, und den man gewiß nicht der
chauvinistischen Stimmungsmache anklagen kann, zitiert die Worte des
französischen Ministers Caillaux: „Im Zentrum Afrikas sind die Positionen
keineswegs als definitiv geregelt anzusehen. Es ist also politisch weitsehend
und klug für die europäischen Mächte, ihre rechnerischen Vorbereitungen zu
treffen, wobei jeder seinen Nutzen findet.“ Das heißt also, so fährt Vander-
velde fort, zur selben Stunde, in der man glauben konnte, daß Frankreich
und Deutschland endlich ihre Situation in Zentralafrika geregelt hatten,
empfindet die eine der vertragsschließenden Parteien das Bedürfnis, zu
erklären, daß noch nichts geschehen ist, daß die gegenwärtigen Positionen
nur provisorisch sind und daß man in nächster Zeit einer neuen rechne-
rischen Regelung entgegensehen müsse. Die katholische Presse richtet
die Spitze deutlich gegen Deutschland. Der „XX. Siecle“ läßt sich ein
Interview mit einem gewesenen Minister aus Paris senden, worin Deutsch-
land die Absicht zugeschrieben wird, auf die Teilung des belgischen Kongos
hinzuarbeiten und deshalb kurzerhand das Vorkaufsrecht gefordert habe.
Der gleichfalls klerikale „Patriote“ behauptet, daß während der deutsch-
französischen Verhandlungen ein französischer Geheimagent in Brüssel gewesen