600 Anhens I.
9. September. (HGamburg.) Erster internat. Monistenkongreß.
Die Zahl der Teilnehmer beträgt über 2000. — Markante
Aeußerungen nach dem Bericht der „Vossischen Zeitung“: Stadtrat Penzig-
Charlottenburg: Neben den verschiedenen Blöcken der neuesten Zeit, den
Interessenblöcken und dem schwarzblauen Block muß der große kultur-
politische Block in Deutschland entstehen. Um ihn zu schaffen, muß der
Wille zum Handeln in den Vordergrund gestellt werden. (Beifall.) —
Dr. Carus-Chicago: Als ich vor 30 Jahren nach Amerika ging, weil ich mit
meiner monistischen Gesinnung bei meiner Lehrtätigkeit am Kadettenkorps
Anstoß erregte, glaubte ich, daß die Reaktion nicht mehr überboten werden
könne. Heute bei meiner Rückkehr höre ich, daß es noch viel reaktionärer
geworden ist. (Zustimmung und Rufe: Leider!) Der Papst hat- es zuwege
gebracht, daß in Frankreich Kirche und Staat getrennt sind. (Stürmischer
Beisall) Aehnliche Dinge bereiten sich auch in Deutschland vor. (S#ot Wider-
spruch und Zurufe: Im Gegenteil!) Der gute konsequente Oberkirchenrat folgt
den Spuren des Papstes. (Stürmischer Beifall.) Schmal-München überbringt
die Grüße des Deutschen Freidenkerbundes. Es wird die Zeit kommen, wo
man erkennen wird, daß der Staatsgedanke in freien aufgeklärten Bürgern eine
bessere Stütze hat als in den schwarzblauen Römlingen. (Stürmischer Beifall.)
Fräulein Dr. Helene Stöcker-Berlin überbringt die Grüße des Deutichen
Bundes für Mutterschutz und Sozialreform. Sie hätten mit dem Monisten-
bund denselben Feind zu bekämpfen: Klerikalismus, Aberglauben und
Heuchelei. Die im Aberglauben befangene Frau ist die beste Stütze unserer
Gegner. (Beifall.) Es folgten noch Ansprachen von Vertretern der Socicte
morale de la nature in Paris, der Deutschen Friedensgesellschaft u. a.
(11. September. (Berlin.) Eröffnung des dritten internatio-
nalen Kongresses für Säuglingsschutz im Beisein der Kaiserin.
Anfang September. (Berlin.) Begründung einer inter-
nationalen Gesellschaft für Luftrecht.
Sie hat den Zweck, die wissenschaftliche Untersuchung der luftrechtlichen
Fragen zu fördern und der gesetzlichen Regelung des Luftrechts vorzuarbeiten.
7.—17. September. (Wien.) Intern. Postwertzeichenausstellung.
12. September. (Rom.) Enthüllung über Crispis Absichten
auf Tripolis im Jahre 1894.
„L'Azione“ veröffentlicht einen Briefwechsel zwischen Crispi,
dessen Vertrauensmann Camperio und dem deutschen Forscher
Gerhard Rohlfs vom Jahre 1894. Rohlfs gibt in einem ausführlichen
Bericht aus Frankfurt sein Urteil über die wirtschaftliche Bedeutung
Tripolitaniens ab, die er optimistisch betrachtet. Die arabische Bevölkerung
sei arbeitsam und würde die italienische Herrschaft der türkischen unbedingt
vorziehen. Erforderlich wären zunächst die Hebung des Kreditwesens, die
Regelung des Grundstückwertes, ein Verbot des Wuchers, Straßenbau und
Erforschung der Mineralschätze. Rohlfs spricht die Hoffnung aus, Italien
werde die Gegend besetzen und schlägt vor, die Türkei finanziell abzufinden.
Aus einem Brief Crispis geht hervor, daß dieser ernstlich die Erwerbung
Tripolitaniens plante und mit Besorgnis das Vordringen Englands und
Frankreichs im Hinterlande verfolgte.
12. September. (Rom.) Der 19. internationale Friedens-
kongreß, der am 29. September zusammentreten sollte, wurde wegen
der Cholera auf Frühjahr 1912 vertagt.