Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenundzwanzigster Jahrgang. 1911. (52)

628 Nebersicht iber die politische Entwichelnns des Jahres 1911. 
hat zwar dem Parlament mitgeteilt, wie besorgt („auxrious") er für 
den Fall des Fehlschlages der deutsch-französischen Verhandlungen 
war; daß aber die völlige Ignorierung der spanischen Ansprüche 
in Berlin im Falle des Gelingens ebenfalls der englischen Politik 
in Marokko unbequem werden könnte, hat er nicht verraten, ob- 
wohl die Wahrscheinlichkeit dafür nach Bekanntgabe der Geheim- 
verträge aller Welt offenbar wurde. Warum die englische Regie- 
rung einen so dringenden Wunsch hatte, bei den Beratungen in 
Berlin hinzugezogen zu werden, was aber Deutschland ablehnte, ist 
seit der Veröffentlichung des spanisch-französischen Geheimvertrages 
(am 8. November 1911) völlig klar. Zugleich ist aber die Schluß- 
folgerung der französischen Presse unter dem frischen Eindruck dieser 
Enthüllung einleuchtend, „daß die Intervention Deutschlands, wenn 
sie wirklich auf eine Festsetzung in Marokko ausgegangen wäre, 
unbedingt zu einem europäischen Kriege hätte führen müssen“ (S.440). 
In diesem Falle „starrte die Marokkofrage von Schwierigkeiten“, 
wie Asquith am 27. Juli sagte. Die deutschen, nach einem Stück 
Marokko gierigen Kritiker der deutschen Diplomatie (S. 132, 152, 
153, 160) kannten die Gefahr nicht, die mit ihren Forderungen 
verbunden gewesen wäre, wenn die Regierung sie ausgenommen 
hätte. In ihrem wahren Lichte als eine Ursache der Kriegsgefahr 
erscheint also die Rede Lloyd Georges erst dann, wenn man sich 
erinnert, daß durch sie die deutsche Reichsregierung verhindert 
wurde, den englischen Minister zur Verwertung der Mitteilung, 
daß Deutschland keine Absichten auf marokkanisches Territorium 
hätte, zu ermächtigen, weil sonst die deutsche Erklärung als eine 
Folge der Lloyd Georgeschen Rede erschienen wäre (S. 249 f.). 
Als es klar wurde, daß den Franzosen das Protektorat über 
Marokko zufallen würde und daß Spanien sich gerade noch im 
letzten Augenblick zur Erlangung eines Anteils an der Beute geregt 
hatte, begann auch in Italien die Sehnsucht nach tripolitanischem 
Besitz in ein akutes Stadium zu treten (S. 463 f.). Am 25. Sep- 
tember lief die Transportflotte von Syrakus und Neapel aus; am 
29. September erfolgte die Kriegserklärung an die Türkei mit dem 
Ziele der „bedingungslosen Annexion von Tripolis, Chrenaica und 
den damit zusammenhängenden Gebieten“. Kaum war nach verlust-
	        
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