Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenundzwanzigster Jahrgang. 1911. (52)

630 Uebersicht über die pelitische Entwichelung des Jahres 1911. 
ließen sich dadurch von extrem partikularistischen Programm- 
forderungen abhalten. Die Wahlen zur zweiten Kammer machten 
das Zentrum zur stärksten Partei (25 von 60 Mandaten); in ihm 
war aber auch die elsässisch-lothringische Nationalpartei repräsentiert 
(S. 176). Den Reichsinteressen fehlte in dem am 6. Dezember er- 
öffneten Landtage eine angemessene parlamentarische Vertretung. 
Um so eifriger regten sich die intransigenten Elemente in den Sport- 
vereinen und unter den Studenten (S. 2, 5, 91, 99, 119, 283, 290). 
Der Reichstag hatte auch das Ouinquennat der Friedens- 
präsenzstärke (1911—1916) zu regeln (vgl. 1910 S. 695). Von der 
Regierung war nur eine geringfügige Vermehrung der Mann- 
schaften, von 504446 allmählich zu 515 321 Mann aufsteigend, ver- 
langt worden. Erheblicher waren die Kosten für bessere technische 
Ausstattung der Artillerie, der Maschinengewehrabteilungen, des 
Trains und der Verkehrstruppen. Am 24. Februar erfolgte die 
Bewilligung mit Vierfünftelmajorität. Die Bescheidenheit der 
Forderung konnte als ein Zeichen dafür gelten, daß damals kriege- 
rische Komplikationen noch nicht erwartet wurden. Die Spezial- 
beratung des Militäretats bot sich deshalb als ein bequemer Anlaß. 
die alten und neuen gravamina der Parteien ausführlich zu er- 
örtern. Das Kalendarium bietet davon eine reichliche Auswahl 
(S. 46, 53, 56—59). Wir knüpfen daran einen Hinweis auf die 
Erörterung der Abrüstungsfrage durch den Reichskanzler (S. 89 f.). 
Diese wichtigen Abschlüsse der parlamentarischen Arbeit in 
der ersten Hälfte des Jahres wurden aber durch die Verhandlungen 
der am 17. Oktober wieder eröffneten Session, die bis zum 6. Dezember 
dauerte, völlig in den Hintergrund gedrängt. Dabei mußte sich 
der Reichstag am 18. Oktober entschließen, die Besprechung der 
Interpellation über die Marokkopolitik noch zu verschieben, weil 
das Abkommen mit Frankreich noch nicht endgültig fertig war. 
Erst am 9. November begannen die denkwürdigen Verhandlungen, 
die bis zum Schluß des Reichstages das Plenum und die Budget- 
kommission aufs lebhafteste beschäftigten. 
War die Geduld des deutschen Volkes schon durch die Schweig- 
samkeit der Regierung und offiziösen Presse während der drei Krisen- 
monate Juli bis September auf eine harte Probe gestellt worden,
	        
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