Uebersiht über die politische Eutwichelung des Jahres 1911. 637
stellt jetzt den englischen Volksvertreter pekuniär besser als den deutschen
Reichstagsabgeordneten (mit 3000 0, während allerdings der fran-
zösische Deputierte 12000 + bezieht (S. 402).
Zu diesem Kompromiß waren die Konservativen und Unionisten
um so eher bereit, da sie anerkannten, daß die von Lord Beaconsfield
als konservativ aufgestellten Ziele „nationaler Politik“ in den aus-
wärtigen und kolonialen Angelegenheiten den Leitern beider Parteien
unterschiedslos zur Tradition geworden waren. Das trat während
der letzten Wochen des Kampfes um die Vetobill in helles Licht, da
die Regierung nach der Entsendung des Kanonenboots „Panther“
nach Agadir zu einer diplomatischen Aktion sich aufschwang, die der
altenglischen Tradition der Macht mehr noch in der äußeren Auf-
machung als im Kerne entsprach. Je deutschfeindlicher die Haltung
des englischen Auswärtigen Amtes erschien, um so mehr gefiel sie der
parlamentarischen Opposition, während in der altliberalen „Daily
News“ die starken Vorbehalte liberaler Kreise zu Worte kamen
(S. 356 f., 366 f., 369, 392).
Daß die Regierung mit dieser Anpassung ihrer auswärtigen
Politik an die Wünsche der Opposition, besonders durch die Rede
ihres radikalsten Mitgliedes Lloyd George, ein für den Frieden
Europas gefährliches Spiel trieb, ist in unserer Darlegung des
Ganges der hohen Politik bereits berührt worden. Für England
war die Dekouvrierung jedenfalls nachteiliger als für das dadurch
scheinbar arg gefährdete Deutschland. Allerdings wahrte sich die
englische Politik durch diese zeitweilige hitzige Parteinahme für
Frankreichs Interessen die moralische Berechtigung, bei den zu
erwartenden Auseinandersetzungen zwischen Spanien und Frankreich
die möglichste Fernhaltung des französischen Protektorats von der
Straße von Gibraltar durch Teilnahme an den Verhandlungen zu
sichern. Zunächst hatte die Unerschütterlichkeit der deutschen Diplomatie
aber für England die unbequeme Folge, daß man nicht nur am
24. Juli, sondern auch nach dem Interview Cartwrights und während
der Pause der Berliner Verhandlungen im Anfang September an
Kriegsbereitschaft denken mußte. Man darf sich wohl den Eindruck
der Artikel der Kölnischen Zeitung vom 25. August und 9. September
(S. 113 und 150) im Downing Street ausmalen, um die Flotten-