Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

512b Spanien. (Mai 22.— Juni 2.) 
ohne Opfer zu scheuen. — 22. Mai. Der frühere Ministerpräsident Maura 
protestiert gegen die augenblicklich von Spanien in Marokko verfolgte Po- 
litik. Man müsse jetzt der großen Mehrheit der Spanier den Irrtum be— 
nehmen, als würde in Marokko eine Eroberungspolitik verfolgt; auch eine 
Kolonialunternehmung daraus zu machen, würde töricht sein. Man müsse 
die Gewohnheiten und die Regierungsform der Marolkaner respektieren, 
sich dort auf eine Wirksamkeit der Zivilgewalt unter dem Schutz der Armee 
beschränken und die Freiheit des Handelns bewahren. Demgegenüber sei 
die augenblickliche Politik verhängnisvoll und unbegreiflich. Der Redner 
bekämpft die Schaffung einer Kolonialarmee und befürwortet die Schaffung 
einer obersten Zivilbehörde für Marokko. Zum Schluß erklärt er, er würde 
die Ernennung einer Untersuchungskommission annehmen. — 23. Mai. 
Ministerpräsident Dato erklärt, daß er in der spanischen Zone keinen Er- 
oberungskrieg führen wolle. Die im Protektorat herrschende Unordnung 
erheische aber, daß die oberste Behörde des Protektorats, die eine Zivil- 
behörde sei, von der Armee unterstützt werde. Was das Statut von Tauger 
betreffe, so zeigten die Mächte das größte Entgegenkommen, insbesondere 
Frankreich. Er lehne die Ernennung einer parlamentarischen Untersuchungs- 
kommission über das Vorgehen in Marolko ab. — 27. Mai. Der Sozialist 
Pablo Iglesias erflärt, daß das Vorgehen Spaniens in Marokko für das 
Land von Nachteil sei. Wenn Spanien Marokko ausgebe, so würde das 
Gleichgewicht im Mittelmeer nicht erschütlert werden, wenn aber das Gleich- 
gewicht aus gleichviel welchem Grunde einmal aufhörte, so würden die 
Arbeiter einen Weltkrieg zu verhindern wissen. Iglesias meint, daß Spanien 
sich durch Frankreich und England habe verleiten lassen, nach Marokko zu 
gehen, und fügt hinzu, er habe sagen hören, daß die Besetzung von Zeluan 
einzig auf den Willen des Königs zurückzuführen sei. (Zwischenruf Mauras: 
Niemals!) Iglesias wirft dem König vor, die internationale Politik zu 
beeinflussen, und sagt: Jedermann wisse, was nach der portugiesischen Re 
volution geschehen sei. Der König gebe und nehme den Ministern die 
Macht. (Widerspruch.) — 28. Mai. Der Karlist Mella beklagt sich darüber, 
daß Frankreich die Sonveränilät über Marokko an sich gerissen habe ohne 
eine Entschädigung für Spanien. Er sei Anhänger eines Bündnisses mit 
Deutschland. Spanien müsse die Meerenge beherrschen. England wolle nur, 
daß Spanien schwach sei, damit seine Lage im Mittelmeer nicht bedroht 
würde. Wenn im Falle eines französisch--deutschen Konfliktes Frankreich 
siegen sollte, so würde es die spanische Grenze überschreiten und Spanien 
von der Karte Europas streichen. Aber auch wenn Frankreich in einem 
solchen Konflikt besiegt würde, würde auf mancher Hand voll spanischer 
Erde spanisches Blut trocknen. Am Ende seiner Rede verteidigt Mella aufs 
neue eine Bündnispolitik mit Deutschland. (Die Epoca, das Organ der 
spanischen Regierung, bemerkt dazu am 29. Mai: Mit Deutschland leben 
wir und wünschen wir in den engsten und herzlichsten Beziehungen zu 
leben. Wir bewundern den Charakter des deutschen Volkes; wir freuen 
uns über seine Größe und empfinden tiefe Ehrfurcht vor seinem großen 
Kaiser. Aber es handelt sich jetzt nicht darum, eine Wahl zu treffen. Wir 
sind nicht frei von Verpflichtungen und könnten etwas derartiges nicht 
tun, ohne daß unsere Handlung diejenigen beleidigen müßte, die jetzt 
unsere Freunde sind. Deshalb vermögen wir angesichts solcher Feldzüge, 
wie sie Mella unternimmt, nur zu erklären, daß wir vor allem ernsthaft 
(sormales) sein möchten.) — 2. Juni. Die Marokkodebatte findet ihren 
Abschluß, nachdem der Führer der Liberalen, Romanones, im Gegensatz 
zu den übrigen Minderheiten der konservativen Regierung aus patriotischen 
Gründen in dieser Frage das Vertrauen ausgesprochen hat. Der Minister-
	        
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