Frankreich. (Januar 13.—15.) 629
Aus dem Kapitalsteuerentwurf: Die Steuerpflicht beginnt bei
einem Kapital von 30000 Franken, wobei noch 5000 Franken für jedes
Kind steuerfrei sind. Als Vermögen betrachtet man Wertpapiere jeder Art,
Immobilien, kaufmännische und Handelsbetriebe, kurz alles, was bereits
jetzt von der Erbschaftssteuer betroffen wird. Die Einschätzung erfolgt nach
denselben Prinzipien wie bei der Erbschaftssteuer: die Papiere nach dem
Kurswert des 1. Januar, sonstiges Eigentum nach dem gewohnten Ver-
fahren. Bis zu 50000 Franken Vermögen erhebt sich der Steuersatz all-
mählich auf 2½ pro Tausend. Alle fünf Jahre wird die Einschätzung er-
neuert, falls nicht eine Veränderung um mehr als ½10 vorliegt. Ausschließlich
die Agenten des Fiskus werden die Einschätzung vornehmen unter Garantie
größter Verschwiegenheit. Damit die Bürger, die zwar kein Kapital, aber
ein höheres Einkommen besitzen, nicht frei ausgehen, beantragt Caillaux eine
Erhöhung der im Einkommensteuergesetz vorgesehenen Abgaben in gewissen
Kapiteln um 1 Prozent. Das Gesetz, das im Jahre 1915 wirksam werden
soll, wird nach den Schätzungen jährlich 190 Millionen Franken ergeben.
13. Januar. Programm der unter der Führung Briands
gegründeten „Vereinigung der Linken“.
In einer Plenarversammlung wird eine Erklärung angenommen,
die als Parteiprogramm folgende Punkte aufzählt: Laienschule, Gewissens-
freiheit, Schutz des Rechts und der Sicherheit aller Bürger, Garantie der
nationalen Unabhängigkeit und Würde, Wahlreform ohne für die Republik
gefährliche Gruppenbildungen, Entwicklung des seit zwanzig Jahren in
Angriff genommenen Werkes der Demokratie, eine Steuerreform, die den
Grundbesitz entlastet, ohne die produzierenden Stände des Landes zu be-
unruhigen. Die Statuten der Vereinigung legen ihren Anhängern die Ver-
pflichtung auf, an die erste Stelle alle Fragen betreffend die Verteidigung
des Landes, die Zukunft der Nation und die Ausdehnung des französischen
Einflusses in der Welt zu stellen, die Laienschule zu verteidigen und alle
Kräfte anzuwenden, um die Schäden parlamentarischen Regimes auszumerzen.
Die Gruppe zählt in der Kammer 168 Mitglieder, darunter Millerand,
Barthou, Etienne, Pichon und Dupuy. (Vgl. auch den belgischen Gesandt-
schaftsbericht vom 16. Januar im „Anhang“.)
13. Januar. England und das französische Flottenprogramm.
Dem „CEcho de Paris“ wird aus London gemeldet, Winston Chur-
chill habe bei seinem jüngsten Pariser Aufenthalt den Ministerpräsidenten
und den Marineminister eingehend über das Flottenprogramm der franzö-
sischen Regierung befragt. Es liege auf der Hand, daß die englische Re-
gierung über diesen Punkt genaue Mitteilungen brauche, um ihr Marine-
budget aufzustellen, da sie nicht daran denken könne, im Mittelmeer eine
Flotie zu errichten, die allein imstande wäre, dieses Meer zu beherrschen.
Marineminister Monis soll in seinen Angaben nicht sehr bestimmt gewesen
sein, da sein Flottenprogramm zum Teil von den noch nicht fertiggestellten
Finanzplänen Caillaux' abhänge.
14. Januar. (Paris.) Gegen den Führer der radikalen alt-
türkischen Partei, General Scherif Pascha, ehem. türkischen Gesandten
in Stockholm, wird ein Mordanschlag versucht.
15. Januar. (Kammer.) Steuerreform.
Finanzminister Caillaux erklärt, es werde notwendig sein, zu einer
Anleihe zu greifen, die jedoch auf mehrere Rechnungsjahre verteilt werden