Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

644 Prankrric. (März 19.—24.) 
19. März. Marineminister Monis tritt wegen des Rochette- 
skandals zurück. Sein Nachfolger wird Senator Gauthier. 
19. März. (Kammer.) Interpellation der sozialistischen Ab- 
geordneten Thomas und Jaures über den Zwischenfall betreffs der 
Putilowwerke. (Siehe 28. Januar und 3. Februar.) 
Ministerpräsident Doumergue erklärt, daß es sich um eine ein- 
fache Konkurrenz zwischen den Interessen der verschiedenen Länder gehandelt 
habe, die sich um den Einfluß auf die Fabriken in einem befreundeten 
Lande stritten. Die lebhafte Teilnahme Frankreichs an diesem Wettbewerbe und 
der gute Wille der russischen Regierung hätten es gestattet, die Angelegenheit 
gemäß den französischen Interessen zu ordnen. Als im weiteren Verlaufe 
der Debatte mehrere Redner darauf bestehen, die Vorteile des Bündnisses 
mit Rußland für Frankreich zu erfahren, versichert Doumergue, daß dieses 
Bündnis Frankreich zur Verteidigung aller seiner Interessen eine große 
Kraft gebe. Es sei auch eine wertvolle Gewähr für den Frieden. Die von 
der Regierung angenommene Tagesordnung Thomas wird durch Hand- 
aufheben angenommen. 
20. März. (Kammer.) Finanzdebatte. 
Der neue Finanzminister Renoult erklärt, die Regierung habe sich 
jeder neuen indirekten Steuer enthalten und werde es auch weiter tun, 
bis der erworbene Reichtum entsprechend besteuert sei. Er werde zwei 
Gesetzvorlagen einbringen, deren Aufnahme in das Finanzgesetz er fordern 
werde. Die erste nehme die Besteuerung der Rente wieder auf, die zweite 
setze eine progressive Steuer auf die 5000 Franken übersteigenden Einkommen fest. 
20. März bis 1. April. Verhandlungen des Nochetteausschusses. 
20. März. (Paris.) Bei der Beisetzung Calmettes kommt es 
zu heftigen Straßendemonstrationen. 
21. März. (Paris.) Frau Caillaux wird von dem Unter- 
suchungsrichter vernommen. 
Sie erklärt u. a., daß sie an der öffentlichen Tätigkeit ihres Gatten 
stets den innigsten Anteil genommen habe. Vor zwei Jahren habe man 
gegen ihn eine abscheuliche Fehde geführt. Er sei bei jedem Anlaß angegriffen 
worden, ganz besonders wegen der Abtretung eines Teiles des Kongo- 
gebietes; man habe ihn angeklagt, daß er diesen an Deutschland verkauft 
habe. Einen besonders heftigen Charakter hätten die Angriffe seit der 
Bildung des Kabinetts Doumergue angenommen. 
24. März. (Senat.) Beratung des Gesetzes betr. den Schutz 
der Laienschule. 
Unterrichtsminister Viviani führt in Erwiderung auf Angriffe von 
klerikaler Seite u. a. folgendes aus: Die Demokratie und die Republik 
haben die Fesseln gebrochen, die die alten Regime um die Feder des Schrift- 
stellers, um das Wort des Redners gelegt hatten. Das neue Gesetz für die 
Verteidigung der Laienschule rührt in keiner Weise an die Schulneutralität. 
Wenn es richtig ist, daß man das Recht der Familie achten muß, so muß 
man auch den Gedanken des Kindes achten, in ihm die Rechte des künf- 
tigen Bürgers respektieren. Die Achtung vor den Rechten und den Ueber- 
zeugungen anderer, das ist's, was unsere Lehrer lehren. Die Laienschule 
ist eine große Unternehmung, aber sie ist nur die Fortsetzung eines noch
	        
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