Frankreich. (April 4.—9.) 649
Tagesordnung angenommen, die von den Schlußfolgerungen der Unter-
suchungskommission Kenntnis nimmt, die mißbräuchlichen Einmischungen
der Finanz in die Politik und der Politik in die Angelegenheiten der Justiz
tadelt und die Notwendigkeit eines Gesetzes über die parlamentarischen
Inkompatibilitäten betont. Mit 359 gegen 103 Stimmen wird ein Antrag
Colly abgelehnt, wonach die Tatsachen, wegen deren Caillaux, Monis,
Barthou und Briand getadelt werden, der zuständigen Gerichtsbarkeit über-
wiesen werden sollen. Ebenso wird die Eröffnung einer richterlichen Unter-
suchung durch Handaufheben abgelehnt und schließlich mit 325 gegen
126 Stimmen eine Tagesordnung angenommen, welche den Entschluß aus-
drückt, die Trennung der Gewalten auf die wirksamste Art zu sichern.
Die Pariser Blätter radikaler wie konservativer Färbung geben
ihrer Besorgnis wegen der durch den Rochetteskandal enthüllten inner-
politischen Zustände lebhaften Ausdruck. Die republikanische „Petite
Réepublique“" schreibt: Niemals hat ein Parlament gegenüber der ob so
vieler Schwächen und Ohnmacht empörten öffentlichen Meinung so sehr an
Ansehen eingebüßt. Welche Schlappheit und welch jämmerliches Versteck-
spielen vor der Verantwortlichkeit! Nur eine Sorge beherrschte diese un-
endlich langen Erörterungen: die Furcht in der einen oder andern Rich-
tung sich bloßzustellen, und das Verlangen, die unbestimmte Formel zu
finden, mit der man den Wähler durch die jedem Wahlkreis angepaßte Er-
läuterung zu betrügen imstande wäre. Seien wir heute froh über das
Ende einer solch verabscheuenswerten Kammer und wünschen wir uns für
die neue Kammer Gesetzgeber, die imstande sind, besser der Demokratie zu
dienen und die Republik vor der Verurteilung zu retten, in die sie un-
weigerlich hineingezogen würde, wenn die jetzigen, für immer verurteilten
parlamentarischen Sitten fortdauern sollten.
4. April. (Ministerrat.) In einer außerordentlichen Sitzung
wird der Justizminister beauftragt, den Grad der Verantwortlich-
keiten der Gerichtspersonen in der Rochetteangelegenheit nachzu-
prüfen.
5. April. Präsident Poincaré wird in der Affäre Caillaux
als Zeuge eidlich vernommen.
7. April. Bei einer Vernehmung vor dem Untersuchungs-
richter Boucard in der Angelegenheit der Frau Caillaux sagt der
Mitarbeiter des „Figaro“ Lazarus aus, daß Calmette die Privat-
briefe, deren Veröffentlichung Frau Caillaux befürchtete, niemals
besessen habe.
9. April. Das Abkommen über die ottomanische Anleihe wird
von dem türkischen Finanzminister Dschavid Bei und dem Minister-
präsidenten Doumergue unterzeichnet.
Frankreich erhält Konzession nachstehender Eisenbahnen: 1. Die Eisen-
bahnlinie Samsun-Sivas-Kharput--Arghana, 2. die Eisenbahnlinie Arghana-
Bitlis-Wan, welche bei Arghana mit der der deutschen anatolischen Eisen-
bahngesellschaft gehörigen Linie Arghana-Diarbekr zusammentrifft, 3. die
Eisenbahnlinie Trapezunt-Erzerum, 4. die Eisenbahnlinie Erzerum-Ersingjan-
Sivas, 5. die Linie Samsun-Sivas nach Konstantinopel. Diese Eisenbahn-
linien sollen binnen sechs Jahren fertiggestellt sein. Außerdem bewilligte