Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

Eraunkreih. (Juli 13.) 669 
gegenständen, darunter an zwei Millionen Paar Schuhen. Man verfüge 
gegenwärtig nicht über das notwendige Material, um die Mosel oder den 
Rhein zu überschreiten. Die Befestigungen an den Forts zwischen Toul 
und Verdun seien seit 1875 nicht verbessert worden. Sie könnten nur einen 
ungenügenden Widerstand leisten. Der Eindruck, den die Einnahme eines 
dieser Forts zu Anfang eines Kriegs auf das Land machen würde, sei nicht 
abzusehen. Humbert weist weiter darauf hin, daß Deutschland im Gegen- 
teil alle seine Werke an der Grenze in die Lage versetzt habe, ihre Auf- 
gaben zu erfüllen. Die Befestigungen seien dort den Fortschritten auf dem 
Gebiete der Belagerungsartillerie angepaßt worden. Metz würde nicht be- 
schossen werden können, ehe nicht die äußerste Befestigungslinie, die 12 
Kilometer davon entfernt sei, genommen wäre. Die vom Parlamente ge- 
forderten Millionen seien umsonst ausgegeben worden. Das Parlament 
werde alle unumgänglich nokwendigen Opfer bringen. Man misse die Or- 
ganisation und die Denkweise der leitenden Stellen der Armee ändern. Die 
Kriegsminister wechselten zu oft und seien über die ihnen unterstehenden 
Dienstzweige schlecht unterrichtet. 
Kriegsminister Messimy erklärt, daß die Mehrzahl der Tatsachen, 
einzeln für sich genommen, richtig sei, wenigstens als Ausnahmen, 
aber nicht in der Art, wie sie dargestellt worden seien. Clemenceau unter- 
bricht den Minister und erklärt, der Senat könne nicht Kredite bewilligen, 
ohne alle gewünschten Aufklärungen zu erhalten. Messimy erklärt, daß 
die französischen Ausgaben für die Ausrüstungen stets geringer 
gewesen seien als die deutschen. Man dürfe die Heeresverwaltung nicht 
verantwortlich machen, da sie von der Finanzverwaltung Befehle erhalten 
habe. Das Land müsse wissen, daß es große Anstrengungen machen miüsse, 
um seine Ausrüstung zu verbessern. Die in dieser Hinsicht notwendigen 
Ausgaben werden zunehmen. Der fortwährende Wechsel in der Besetzung 
des Kriegsministeriums sei die Hauptursache des Uebels. Humbert habe 
ein Recht gehabt, die Heeresverwaltung zu kritisieren. Es sei notwendig, 
die Kriegsverwaltung zu reorganisieren. Messimy sagt zum Schluß, er 
übernehme die Verpflichtung, die Ausführung des Programms der Regierung 
so streng wie möglich zu überwachen, um die Verteidigung des Landes 
auf die höchste Höhe zu bringen. Darauf sagt Clemenceau, seit 1870 
habe er keiner so beunruhigenden Parlamentssitzung beigewohnt wie heute. 
Man müsse auf die Kritiken Humberts antworten. Dies sei für die Armee 
und das Land notwendig. Diese Dinge könnten nicht mit dem gewohnten 
Inisser aller behandelt werden. Er zweifle nicht an dem Eifer der Mit- 
arbeiter des Kriegsministers, aber die Ergebnisse, zu denen sie gelangt, 
sind beunruhigend. Wir weigern uns, die heute geforderten Kredite zu 
bewilligen. Das Parlament muß sich erheben und handeln. Die Wahr- 
heit muß unverzüglich bekannt werden. 
Die Enthüllungen des Senators Humbert und die daran geknüpfte 
Debatte rufen im Parlament und in der Presse das größte Aufsehen hervor. 
Jaurés schreibt in der „Humaniteo“: Wußte denn der Senat nicht, 
daß die Militärverwaltung schablonenhaft und ohne jede Voraussicht arbeitet? 
Hat der Skandal des Dreijahrsgesetzes, das nur die von den Büros des 
Kriegsministeriums begangenen Fehler verdecken soll, nicht genügt, um dem 
Senat die Augen zu öffnen? Die Enthüllungen Humberts haben auf die 
Senatoren wie die Explosion einer Bombe gewirkt. In der Kammer sind 
zwar viel schlimmere Tatsachen enthüllt worden, aber man wollte nichts 
hören und nichts begreisen. Diesmal jedoch scheint der Senat aufgerüttelt 
worden zu sein. Ein Defizit von einer Million, das amtlich in der Kammer 
eingestanden wird, die Zerrüttung unseres ganzen Verteidigungssystems, die
	        
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