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im Senat verkündigt wird, ohne daß die Minister das Land sofort beruhigen
können — dahin ist es mit uns gekommen, so weit hat die seit einigen
Jahren betätigte rückschrittliche militärische und koloniale Politik Frankreich
gebracht. Der „Radical“: Zwei Stunden lang haben die Senatoren mit
Bestürzung die furchtbarste Anklagerede gehört, die jemals gegen den
Großen Generalstab gehalten wurde. Denn niemand sann heute mehr leugnen,
daß nur der Generalstab an den Fehlern und unglaublichen Nachlässigkeiten
die Schuld trägt, die Senator Humbert enthüllt hat. Der „Figaro“:
Wir sind also weder verteidigt noch regiert, rief Clemenceau. Dieser Zwischen-
ruf kennzeichnet das ganze System. Die radikale Politik, die mit ihren
Mehrheitskombinationen und ihrem Verweltlichungsanarchismus alles ver-
nachlässigt, was nicht Partei- und Wahlangelegenheit ist, ist in der gestrigen
Senatssitzung endgültig gebrandmarkt worden. Der „Eclair“: Die Ent-
hüllungen des Senators Humbert, die durch das Einschreiten Clemenceaus
verschärft wurden, tragen zur Verschlimmerung der gegenwärtigen Ver-
worrenheit wesentlich bei. Inmitten dieser Unordnung tritt der Präsident
der Republik morgen seine Reise nach Rußland an. Welch bedauerliches
Mißgeschick und welches Vorspiel zu dem diplomatischen Akt, der sich in
diesen Tagen in Rußland vollziehen soll!
14. Juli. (Senat.) Das Budget 1914 wird im ganzen ein-
stimmig angenommen. Auch der Kredit für die Wohnungsgelder der
Postunterbeamten (s. 23. Juni) wird bewilligt. Sodann wird ein
Antrag, der die Heereskommission beauftragt, dem Senate bei seinem
Wiederzusammentritt einen Bericht über die Beschaffenheit des Kriegs-
materials vorzulegen, und endlich der Entwurf für die einmaligen
Ausgaben für Heer und Marine (s. 26. März) mit allen Stimmen
der 281 anwesenden Senatoren im ganzen angenommen.
Auf die Enthüllungen Humberts am vorhergehenden Tagc erwidert
Kriegsminister Messimy, er erkenne an, daß man in der Vergangenheit
nicht alles Notwendige getan habe, es habe aber keine Milliardenvergeudung
stattgefunden, wie behauptet worden sei. Frankreichs Ausgaben bezifferten
sich nicht nach Milliarden. Von 1900—1905 habe man viel weniger aus-
gegeben als Deutschland. 1915 werde man in Frankreich 3020 Kanonen
haben gegen 3370, die Deutschland gegenwärtig besitze. Munition sei in
genügender Weise vorhanden. Frankreich befinde sich Deutschland gegenüber
nicht in einem Zustand der Unterlegenheit. Das französische 55 Millimeter-
Material sei dem deutschen überlegen. Frankreich habe für die Vermehrung
der Munition bedeutende Summen ausgegeben. Der Bestand würde sich
Ende des nächsten Jahres gegenüber Ende 1908 verdreifacht haben. Für
die schwere Artillerie würden gegenwärtig erhebliche Anstrengungen gemacht.
105 Millimeter-Kanonen von 12 Kilometern Tragweite seien im Bau, und Ver-
suche für die Herstellung einer neuen Granate würden Ende des Monats
stattfinden. Frankreich würde nächstens 120 Millimeter-Kanonen von 13
Kilometern Tragweite haben. Für die Ausbildung der Genietruppen habe
man in den Jahren 1900—1911 100 Millionen ausgegeben gegenüber 100
Millionen, die Deutschland dafür ausgab. Deutschland hat vor Frank-
reich einen gewaltigen Vorsprung: aber seit 1912 hat Frankreich die
Ausgaben dafür erhöht. Was die Telegraphie anbetrifft, so werden alle
Forts untereinander verbunden, die funkentelegraphischen Stationen des
Ostens werden mit neuen starken Apparaten ausgerüstet und die Feldtele-
graphie wird sehr verbessert. Von den Forts im Gebiete der oberen Maas