Frankreich. (Juli 31. und August 1.) 675
Poincaré und König Georg. (Veröffentlicht in einem am 20. Fe-
bruar 1915 ausgegebenen englischen „Weißbuch“.)
Präsident Poincaré schreibt: Teurer erhabener Freund! In den
schweren Zeiten, die Europa jetzt durchmacht, halte ich es für meine Pflicht,
Eurer Majestät Mitteilung zu machen von den Nachrichten, welche die Re-
gierung der Republik aus Deutschland erhalten hat über die militärischen
Vorbereitungen, die von der kaiserlichen Regierung besonders in unmittel-
barer Nähe der französischen Grenze getroffen werden und die von Tag
zu Tag an Intensität und Beschleunigung zunehmen. Frankreich ist ent-
schlossen, bis zum äußersten alles daran zu setzen, was immer es tun kann
und soweit es in seiner Macht steht, den Frieden zu erhalten. Es hat sich
bis jetzt darauf beschränkt, nur die unerläßlichen Vorsichtsmaßregeln zu
treffen. Es scheint jedoch nicht, daß seine Klugheit und Mäßigung die Vor-
bereitungen Deutschlands hemmen können. Weit davon entfernt stehen wir
vielleicht trotz der Weisheit der Regierung der Reoublik und der Ruhe der
öffentlichen Meinung am Vorabend der fürchterlichsten Ereignisse. Aus allen
uns zugekommenen Informationen ergibt sich, daß, wenn Deutschland die
Gewißheit hätte, die englische Regierung würde in einem Streit, in den
Frankreich verwickelt ist, nicht intervenieren, der Krieg unvermeidlich sein
würde; andererseits, daß, wenn Deutschland die Gewißheit hätte, die Entente
Cordiale werde sich nötigenfalls bis auf die Schlachtfelder erstrecken, die
größte Möglichkeit vorhanden wäre, den Frieden erhalten zu sehen. Ohne
Zweifel lassen unsere militärischen und Marineabkommen der Regierung
Eurer Maojestät ihre volle Freiheit. In den im Jahre 1912 zwischen Sir
Edward Grey und Cambon gewechselten Schreiben haben sich Frankreich
und England nur dahin verpflichtet, im Falle einer europäischen Spannung
miteinander zu verhandeln und die Frage zu prüfen, ob nicht eine gemeinsame
Aktion Platz zu greifen habe. Der Charakter der Menschlichkeit, den die
öffentliche Meinung in beiden Ländern der Entente zwischen Frankreich
und England beilegte, das gegenseitige Vertrauen, in dem unsere Regie-
rungen ständig an der Erhaltung des Friedens gearbeitet haben, die Zu-
neigung, die Eure Moajestät stets für Frankreich hegten, geben mir das
Recht, mit allem Freimut meiner Ansicht Ausdruck zu geben, die diejenige
der Regierung und des ganzen Landes ist. Gegenwärtig hängt, wie ich
glaube, von der Sprache und dem Verhalten der englischen Regierung die
letzte Möglichkeit einer friedlichen Lösung ab. Wir haben selbst seit Beginn
der Krisis unserem Verbündeten zur Maßigung geraten und wir haben
diese auch nie überschritten. In Uebereinstimmung mit der königlichen Re-
gierung und gemäß den Wünschen Sir Edward Greys haben wir ständig
im gleichen Geiste gehandelt. Wenn aber alle Anstrengungen zu einer Ver-
söhnung immer von derselben Seite ausgehen, wenn Deutschland und Oester-
reich auf das Zögern Englands rechnen können, wird Oesterreich in seinen
Forderungen nicht nachgeben und es wird zu keiner Verständigung zwischen
ihm und Rußland kommen. Ich habe die feste Ueberzeugung, daß, wenn
England, Frankreich und Rußland jetzt durch eine starke Einigkeit ihrer
diplomatischen Aktion Nachdruck verleihen, um so eher auf die Erhaltung
des Friedens gerechnet werden kann. Eure Majestät wollen gütigst meinen
Schritt entschuldigen, der aus dem Wunsche entsprungen ist, das europäische
Gleichgewicht endgültig gefestigt zu sehen.
König Georg erwidert am 1. August: Lieber und großer Freund!
Ich schätze auf das höchste die Gefühle, die Sie bewogen haben, mir in
einem so herzlichen und freundschaftlichen Geiste zu schreiben. Ich bin
Ihnen dafür dankbar, daß Sie Ihre Ansicht so vollständig und so offen.
43“