Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

Ffr###kreich. (September 4.) 689 
Gleichzeitig erscheint folgender von Präsident Poincaré und sämt- 
lichen Ministern unterzeichneter Aufruf: 
Franzosen! Seit mehreren Tagen stellen erbitterte Kämpfe unsere 
heldenhaften TTruppen und die feindliche Armee auf die Probe. Die Tapfer- 
keit unserer Soldaten hat ihnen an mehreren Punkten bemerkenswerte Vor- 
teile eingetragen, dagegen hat uns im Norden der Vorstoß der deutschen 
Streitkräfte zum Rückzuge gezwungen. Diese Lage nötigt den Präsidenten 
der Republik und die Regierung zu einem schmerzlichen Entschluß. Um 
über das Heil der Nation zu wachen, haben die Behörden die Pflicht, sich 
zeitweilig von Paris zu entsernen. Indessen wird der hervorragende Ober- 
befehlshaber der französischen Armee voll Mut und Begeisterung die Haupt- 
stadt und ihre patriotische Bevölkerung gegen den Eindringling verteidigen. 
Aber der Krieg soll gleichzeitig im übrigen Lande weitergeführt werden. 
Ohne Furcht und Nachlassen, ohne Aufschub und Schwäche wird der heilige 
Kampf für die Ehre der Nation und die Sühne des verletzten Rechtes 
weitergehen. Keine unserer Armeen ist in ihrem Bestande erschüttert worden. 
Wenn einige von ihnen sehr bemerkenswerte Verluste erlitten haben, so sind 
die Lücken sofort von den Depots aus wieder ausgefüllt worden, und der 
Aufruf der Rekruten sichert neue Quellen an Menschen und Energie. Wider- 
stand und Kampf, das soll die Parole der verbündeten englischen, russischen, 
belgischen und französischen Heere sein, Widerstand und Kampf, während 
die Engländer uns zur See helfen, die Verbindungen unserer Feinde mit 
der Welt abzuschneiden, Widerstand und Kampf, während die russischen 
Armeen weiter vorrücken, um den entscheidenden Stoß in das Herz des 
Deutschen Reiches zu führen. Es ist die Aufgabe der republikanischen Regierung, 
diesen hartnäckigen Widerstand zu leiten. Ueberall werden sich zum Schutze 
der Unabhängigkeit Frankreichs die Länder erheben, um diesem furchtbaren 
Kampfe seine ganze Kraft und seine Wirksamkeit zu verleihen. Es ist 
unumgänglich notwendig, daß die Regierung freie Hand behält. Auf Wunsch 
der Militärbehörden verlegt die Regierung daher für den Augenblick ihren 
Aufenthalt nach einem Punkt Frankreichs, wo sie in ununterbrochener Ver- 
bindung mit der Gesamtheit des Landes bleiben kann. Sie fordert die 
Mitglieder des Parlaments auf, sich nicht fern von ihr zu halten, um 
gegenüber dem Feinde zusammen mit der Regierung und ihren Kollegen 
den Sammelpunkt der nationalen Einheit zu bilden. Die Regierung ver- 
läßt Paris erst, nachdem sie die Verteidigung der Stadt und des befestigten 
Lagers durch alle in ihrer Macht stehenden Mittel sichergestellt hat. Sie 
weiß, daß sie es nicht nötig hat, der bewunderungswürdigen Pariser Be- 
völkerung Ruhe, Entschlußkraft und Kaltblütigkeit zu empfehlen. Die Be- 
völkerung von Paris zeigt jeden Tag, daß sie den größten Pflichten gewachsen 
ist. Franzosen! Zeigen wir uns dieser tragischen Umstände würdig. Wir 
werden den endlichen Sieg erringen, wir werden ihn erringen durch den 
unermüdlichen Willen zum Widerstande und zur Beharrlichkeit. Eimne Nation, 
die nicht untergehen will, und die, um zu leben, weder vor Leiden noch 
vor Opfern zurückschreckt, ist sicher, zu siegen 
4. September. (Paris.) Der Militärgouverneur von Paris, 
General Gallieni, richtet an das Heer und die Bevölkerung von 
Paris folgenden Aufruf: 
Die Regierung der Französischen Republik hat Paris verlassen, um 
der Landesverteidigung einen neuen Anstoß zu geben. Ich habe Befehl 
erhalten, Paris gegen den eindringenden Feind zu verteidigen. Diesen 
Auftrag werde ich bis zu Ende erfüllen. 
Europäischer Geschichtskalender. LV. 44
	        
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