Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

706 Frankreich. (Dezember 22.) 
Finanzlage, die die Lebensfähigkeit Frankreichs, die Sicherheit des 
Kredits und das Vertrauen beweise, das sie jedermann trotz des welt- 
erschütternden und armmachenden Krieges einflöße. Die Finanzlage er- 
mögliche es, den Krieg bis zu dem Tage fortzusetzen, an dem die notwendige 
Vergeltung erlangt sein werde. Die Erklärung gedenkt der unschuldigen 
Kriegsopfer, die bisher von den Kriegsgesetzen geschützt waren, die der 
Feind gefangen nahm oder niedermetzelte, um zu versuchen, die Nation, 
die unerschütterlich blieb, in Schrecken zu versetzen. Gegenüber den Familien 
dieser Opfer habe die Regierung ihre Pflicht getan, aber die Schuld des 
Landes sei noch nicht gelöscht. Die Regierung schlage zunächst die Eröff- 
nung eines Kredits von 300 Millionen vor. Die Regierung verpflichte sich 
feierlich, die zahllosen Ruinen in den besetzten Departements wieder aufzu- 
bauen. Die Erklärung fährt fort: Indem wir mit dem Ergebnis der Ent- 
schädigung, die wir verlangen werden, rechnen, und die Hilfe und Mitwirkung 
es Landes erwarten, wird die ganze Nation, stolz auf das Elend eines 
Teiles ihrer Kinder, die Pflicht der nationalen Einmütigkeit zu erfüllen 
wissen. Der Staat verkündigt so das Recht auf Entschädigung für die 
Opfer der Kriegsereignisse und wird seine Pflicht in größtem Maße erfüllen. 
Der Tag des endgültigen Sieges ist noch nicht gekommen; bis dahin wird 
die Aufgabe hart sein, und sie kann langwierig sein. Bereiten wir unsern 
Willen und unsern Mut darauf vor. Um die gewaltigste Ruhmeslast, die 
das Volk tragen kann, zu erben, erklärt sich Frankreich im voraus zu allen 
Opfern bereit. Unsere Verbündeten wissen dies, und die neutralen Nationen 
wissen es auch. Durch den maßlosen Feldzug falscher Nachrichten versuchte 
man vergeblich, deren Sympathien zu gewinnen, die uns jedoch erhalten 
blieben. Wenn Deutschland anfangs daran zu zweifeln vorgab, zweifelt 
es jetzt nicht mehr. Es steht fest, daß das französische Parlament nach 
einem vier Monate langen Kriege vor der Welt das Schauspiel erneuert, 
das es an dem Tage bot, an dem es im Namen der Nation den Fehde- 
handschuh aufgriff. Das Parlament besitzt alle Autorität, um dieses Werk 
zu erfüllen. Es ist seit 44 Jahren zugleich der Ausdruck der Garantie 
unserer Freiheiten, es weiß, daß die Regierung willig sich seiner notwen- 
digen Kontrolle unterzieht, daß sein Vertrauen ihr unbedingt notwendig 
ist, daß morgen wie gestern seiner Souveränität gehorcht wird. Eben diese 
Souveränität ist es, die die Macht der Kundgebung erhöht, von welcher 
es bereits ein Beispiel gegeben hat. Um zu siegen, genügt das Heldentum 
an den Grenzen nicht, es bedarf der Einheit im Innern. Wir müssen 
fortfahren, uns vor jedem Eingriff in diese heilige Einheit zu schützen. 
Heute wie gestern und wie morgen müssen wir den Siegesschrei der 
Mission des Vaterlandes und das Ideal des Rechtes in uns tragen. 
Dafür kämpfen wir, dafür kämpft auch Belgien, das diesem Ideal alles 
Blut seiner Adern hingab, England sowohl wie Rußland, das furcht- 
lose Serbien und die kühne japanische Marine. Wenn dieser der gigan- 
tischste Krieg der Geschichte ist, so ist er es nicht, weil die Völker nicht 
aufeinanderprallen, um Territorien und Absatzgebiete, eine Vergrößerung 
ihres materiellen Lebens und politische oder wirtschaftliche Vorteile zu er- 
werben, sondern weil sie aufeinanderprallen, um das Schicksal der Welt 
zu regeln. Deshalb wollen wir auch weiterhin morgen von einem Geiste 
beseelt sein. Im Frieden und im Siege werden wir mit Stolz der 
tragischen Tage gedenken, denn sie werden uns mutiger und besser ge- 
macht haben. 
Die Antwort der deutschen Regierung auf die von Viviani erhobenen 
Anschuldigungen enthält der Runderlaß des deutschen Reichskanzlers vom 
24. Dezember. (Siehe den Nachtrag zu „Deutsches Reich“.)
	        
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