Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

Fraukreih. (Dezember 22. —- 26.) 707 
22. Dezember. (Senat.) Beginn der Tagung. 
Präsident Dubost eröffnet die Sitzung mit einer Ehrung für das 
Andenken der verstorbenen Senatoren, insbesondere des Senators Reymond 
(Departement Loire), der bei einem Erkundungsflug in der Nähe von Toul 
vor dem Feinde gefallen ist, und drückt im Namen des Senats die Be- 
wunderung für die Armee und ihre Führer und das Land aus. Sodann 
verliest Justizminister Briand die Regierungserklärung. 
24. Dezember. (Kammer und Senat.) Nachdem sämtliche 
Regierungsvorlagen (s. 12. Dezember) einstimmig ohne Erörterung 
angenommen sind, wird die Tagung des Parlamentes geschlossen. 
In der Abgeordnetenkammer verliest der Vorsitzende des Budget- 
ausschusses, Clementel, eine kurze Erklärung, in der er sagt: Die genaue 
Prüfung der Finanzen und des Kriegsmaterials erweckte im Ausschuß den 
besten Eindruck. Ich kann die Kammer versichern, daß ein ungeheures 
Wunder durch die französische Energie unter feindlichem Feuer vollbracht 
worden ist. Dies zugleich mit dem Heroismus unserer Soldaten ist ein 
Pfand für den desto nähern Sieg, je mehr die Verbündeten gleich uns 
sicher sind, eine wirksame Blockade Deutschlands und Oesterreich-Ungarns 
durchzuhalten und dadurch die unvermeidliche Niederlage dieser beiden 
Staaten herbeizuführen. Der Ausschuß hat einstimmig die geforderten 
Kredite angenommen. Wir sind sicher, daß die Kammer die gleiche Ein- 
mütigkeit beweisen wird, die von unseren Gegnern so sehr gefürchtet und 
von den Verbündeten als ein neuer Beweis dafür erwartet wird, daß wir 
keine Anstrengungen scheuen, um bis zum Ende durchzuhalten. 
26. Dezember. Die japanische Hilfe. 
Im „Figaro“ erörtert der frühere Minister Hanotaux die Frage, 
welches die Meinung Japans über eine japanische Intervention in Europa ist. 
Mehrere Zeitungen seien einer gewissen Mitwirkung günstig, aber die meisten 
seien einer etwaigen Teilnahme Japans an dem Krieg in Europa abgeneigt. 
Hanotaux fügt hinzu, Ministerpräsident Graf Okuma sei augenblicklich nicht 
gewillt, eine gemeinsame Aktion an der Seite der Verbündeten zu unterstützen. 
26. Dezember. Die „Humanité“ veröffentlicht eine Kund- 
gebung der Sozialistenpartei. 
Sie erklärt, die Partei habe sich jeder Erklärung während der Kammer- 
session enthalten, um die Disziplin und Einigkeit nicht zu stören, die die 
Nation dem Feinde gegenüber bisher eingenommen habe. Das Parlament 
müsse die Regierung in ihrer ungeheuern Aufgabe unterstützen, um die 
Waffen zu schmieden, derer die Nation und die Armee benötigten. Der 
Aufreibungskrieg könne noch lange dauern, aber er werde Frankreich nicht 
ermüden, da Frankreich für die Erhaltung seiner Unabhängigkeit und 
Einigkeit kämpfe. Frankreich kämpfe dafür, daß Elsaß-Lothringen zu seinem 
wahren Baterlande zurückkehre, daß das Recht des Volkes, über sich selbst 
zu verfügen, jedem Volke zuerkannt werde, daß der preußische Imperialismus 
und alle Imperialismen künftig die freie Entwicklung der Nation nicht mehr 
hemmen könnten, daß dieser Krieg der letzte sei, daß aus dem Frieden 
endlich die Gerechtigkeit hervorgehe, und daß Kinder und Kindeskinder die 
Wiederkehr der Barbarei nicht mehr zu befürchten brauchten. Um dieses 
Ziel zu erreichen, seien die Sozialisten mehr als irgendjemand entschlossen, 
bis zum Siege zu kämpfen.
	        
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