Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

A##lien. (Dezember 5.) 733 
nehmigte Tagesordnung Bettolo in namentlicher Abstimmung mit 
413 gegen 49 Stimmen angenommen. 
Die Tagesordnung lautet: Da die Kammer anerkennt, daß die Neu- 
tralität Jtaliens mit vollem Recht und überlegtem Urteil proklamiert wurde, 
so hat sie das Vertrauen zur Regierung, daß sie im Bewußtsein ihrer 
schweren Verantwortung in zweckmäßiger Weise und mit geeigneten Mitteln 
eine den höchsten Interessen der Nation entsprechende Tätigkeit entfalten wird. 
In der Debatte drückt Bettolo seine Genugtuung darüber aus, 
daß die von Italien proklamierte Neutralität auf keinen Fall ihren Grund 
habe in der Vorbereitung der militärischen Organisation. Salandra habe 
die wahren Gründe dafür angegeben, weshalb Italien an dem ungeheuern 
Krieg nicht teilnehmen könne. Die Haltung Italiens lasse sich folgender- 
maßen zusammenfassen: Die Neutralität soll keine passive Entsagung be- 
deuten, sondern eine wachsame und gelassene Ueberwachung, die durch die 
Kraft militärischer Vorbereitung gestützt wird. Italien soll bereit sein, die 
höchsten Interessen der Nation zu verteidigen, falls sie bedroht oder miß- 
verstanden werden sollten. Bettolo betont ferner, daß Italien ein besonderes 
Bedürfnis empfinden müsse, an sich selbst zu denken, ohne auf die Schmeiche- 
leien interessierter Lockungen zu hören, noch auf die gefährliche Suggestion 
verwickelter und abstrakter Begriffe, die den Sinn für die Wirklichkeit ver- 
lieren lassen müßten. Die Sozialisten erklären, die Regierungserklärung 
nicht billigen zu können, da sie unklar sei. Altebelli (unabhängiger 
Sozialist) spricht sich gegen jeden Krieg aus, der kein Verteidigungskrieg 
ist, und erklärt sich für eine Neutralität bis zum Schluß, und zwar im 
Namen der Menschlichkeit und der Zivilisation. Er vertraut darauf, daß 
auch bei Beibehaltung der Neutralität Italien seine Interessen wirksam 
werde schützen können. Italien müsse seine Neutralität diplomatisch zur 
Geltung bringen. Italien werde niemals gestatten können, daß seine Armee 
an der Seite der Zentralmächte kämpfe. (Bei diesen Worten unterbricht 
der Ministerpräsident den Redner und sagt mit Nachdruck: Die italienische 
Armee wird ihrem König immer loyal und treu gehorchen. Sehr lebhafter 
und anhaltender Beifall.) Sodann ergreift Ministerpräsident Salandra 
das Wort und drückt zunächst sein Bedauern über die wenig maßvollen 
Ausdrücke aus, die einzelne Redner bei Beurteilung des großen inter- 
nationalen Konflikts und der Mächte, die daran beteiligt sind, gebraucht 
hätten. Dann fährt er fort: Italien erkennt die Verdienste und Vorzüge 
aller zivilisierten Bölker an und weiß, daß alle am Fortschritt gearbeitet 
haben. Es lebe Italien! Das sei unser Ruf. Man hat gesagt, daß meine 
Erklärungen rätselhaft wären. Dagegen scheinen sie mir sehr klar gewesen 
zu sein, und ich glaube, daß die große Mehrheit des Landes, welche in 
diesem Augenblick von uns vertreten wird, von uns, nicht (zur äußersten 
Linken gewandt) von Ihnen, mit mir einverstanden ist. (Lebhafter Beifall, 
der von der äußersten Linken unterbrochen wird.) Was ich gesagt habe, 
wird von jedermann verstanden, und ich darf kein Wort hinzufügen. Sie 
sollen meine Worte beurteilen, aber ich kann keine ausführlichen Erklärungen 
geben, denn das würde gegen das Staatsinteresse sein. Wenn Sie glauben, 
daß diese Art, die Pflichten der Regierung zu beurteilen, dem Staats- 
interesse entspricht, dann werden Sie unsere politischen Richtungslinien 
billigen. Andernfalls werden wir unsere Pflicht kennen. Was die mili- 
tärische Vorbereitung angeht, so erkläre ich, daß Heer und Flotte 
Italiens für jede Eventualität bereit sind. Wir haben ebenso wie unsere 
Vorgänger die schwere Verantwortung für das Wohl des Landes an- 
genommen. Sie werden, sobald Ihnen die Dokumente vorgelegt werden,
	        
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