Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

Tũrkei. (Januar 11. - 16.) 857 
des Generals Liman von Sanders in Anspruch nehmen würde, zum 
Schaden seiner hohen Mission als Generalinspekteur, von welcher der 
Kriegsminister die glücklichsten Ergebnisse für die schnelle Reorganisation 
des Heeres erwarte. 
Dagegen wird dem „Berliner Tageblatt“ von einer hervor- 
ragenden osmanischen Persönlichkeit in Konstantinopel erklärt, dieser Wechsel 
sei im Gegensatz zu offiziösen Darstellungen rein politischer und nicht mili- 
tärischer Natur. Die Pforte habe Rußland dieses Zugeständnis gemacht, 
um dem lästigen Drängen ein Ende zu machen und die glatte Erledigung 
der schwebenden Verhandlungen, besonders der großen Anleihe in Frank- 
reich, zu ermöglichen. Praktisch und militärisch sei der Funktionswechjel 
bedeutungslos. Das Reformwerk der deutschen Militärmission werde da- 
durch in keiner Weise berührt. 
In der Pariser Presse wird diese Aenderung als Erfolg der fran- 
zösisch--russischen Diplomatie lebhaft gefeiert. In einem offiziösen Artikel 
der „Kölnischen Zeitung“ (22. Jan.) heißt es: Aus der historischen Be- 
trachtung der Angelegenheit geht hervor, daß sie für Deutschland niemals 
eine Prestigefrage, sondern stets eine Zweckmäßigkeitsfrage, vorwiegend 
innerer türkischer Natur gewesen ist. Daraus ergibt sich einmal, daß es 
durchaus unverständlich wäre, wenn aus dieser Angelegenheit, die für uns 
vom politischen Standpunkt aus durchaus nicht von einer derartigen Be- 
deutung ist, wegen etwaiger, wenn auch unberechtigter Wünsche Rußlands 
eine Verstimmung zwischen uns und Rußland sich ergeben hätte. Zum 
anderen geht aber auch hervor, daß es durchaus unrichtig ist, wenn einige 
deutsche Blätter jetzt auch wieder sich durch die Haltung der französischen 
dahin beeinflussen lassen, von einem Fiasko der deutschen Politik zu sprechen. 
Für den unbefangenen Beurteiler liegt dazu nicht der mindeste Anlaß vor. 
11. Januar. Erweiterung der Befugnisse des Kriegsministers. 
Amtlich wird bekannt gegeben: Das Kommando über die Dardanellen 
und den Bosporus untersteht nicht dem Kommandanten des ersten Korps, 
sondern dem Kriegsminister. Das Kriegsgericht und der Belagerungszustand 
##allen gleichfalls ausschließlich unter die Befugnis des Kriegsministers. 
14. Januar. General Liman von Sanders wird zum Marschall 
des türkischen Heeres und General Bronsart vou Schellendorf zum 
ersten stellvertretenden Chef des Generalstabs ernannt. 
15. Januar. Aufruf Enver Paschas an die Armee. 
Es heißt darin: Da unsere Armee ihre Pflicht nicht gehörig erfüllen 
konnte, haben wir die blühendsten Teile unseres vielgeliebten Vaterlandes. 
verloren. Die ottomanische Nation hat schwere Schicksalsschläge erlitten. 
Unser erhabener Kriegsherr, unser teurer und ruhmvoller Herrscher, dessen 
Herz durch diese Lage auf das tiefste betrübt wurde, hat mich, um, Gott 
behüte, nicht noch einmal so düstere Tage zu erleben und um die Ehre 
des Kalifats mit der traditionellen Tapferkeit des Ottomanentums zu ver- 
teidigen, beauftragt, die Armee hierfür vorzubereiten. Obwohl diese Auf- 
gabe groß und schwer ist, habe ich sie im Vertrauen auf den Beistand 
Gottes, den Schutz des Propheten und die Gunst unseres mächtigen 
Herrschers in Angriff genommen. Zwei Dinge fordere ich von der Armee: 
Unbedingten Gehorsam und unablässige Arbeit! Der Aufruf schließt mit 
den Worten: Ich bin überzeugt, daß jeder Offizier daran arbeiten wird, 
den Makel auszulöschen, den die Unglückstage der jüngsten Zeit unserer 
Armee zugefügt haben.
	        
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