Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

Asien. (September 5.) 1009 
5. September. (Japan.) Beginn der Sitzungen des Ab- 
geordnetenhauses. 
Der Minister des Auswärtigen Baron Kato gibt folgende Dar- 
stellung der Gründe, die Japan zur Kriegserklärung veranlaßten: M. H.) 
Es ist mir eine Ehre, Ihnen hier einen kurzen Ueberblick zu geben über 
den Verlauf der Ereignisse, die zum Kriege zwischen Japan und Deutsch- 
land und in der Folge zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen 
Japan und Oesterreich--Ungarn führten. Wie Ihnen allen bekannt ist, geht 
der jetzige europäische Krieg zurück auf die serbisch-österreichisch-ungarische 
Affäre. Am 28. Juli erklärte Oesterreich-Ungarn Serbien den Krieg und 
gab am gleichen Tage in einer Verbalnote dem japanischen Botschafter 
in Wien Kenntnis hiervon. Vor Eintritt dieses Ereignisses ordnete Ruß- 
land, um auf Oesterreich einen Druck auszuüben, eine teilweise Mobil- 
machung seines Heeres an, was Oesterreich seinerseits mit einer Gegen- 
mobilisation beantwortete. Dadurch wurden die Beziehungen mehrerer Mächte 
zueinander kritisch beinflußt. England schlug eine Vier Mächte-Konferenz 
vor, auf der England, Frankreich, Deutschland und Italien eine friedliche 
Beilegung versuchen sollten. Die englischen Bemühungen waren jedoch 
nicht von Erfolg begleitet. Inzwischen ordnete Oesterreich die Mobilisation 
seiner ganzen Streitmacht an, wodurch es Rußland zwang, ebenfalls aus- 
gedehntere Kriegsvorbereitungen zu treffen. Am 31. Juli teilte die deutsche 
Regierung der russischen Regierung mit, daß, falls Rußland nicht bis zum 
Mittag des 1. August seine militärische Tätigkeit einstelle, Deutschland eine 
allgemeine Mobilmachung anordnen werde, und am folgenden Tage über- 
reichte der deutsche Botschafter in St. Petersburg dem Minister des Aeußern 
im Namen seiner Regierung die Kriegserklärung, woraufhin Rußland 
seinerseits am folgenden Tage Deutschland den Krieg erklärte. Anderer- 
seits nun berief Deutschland, das seit dem 31. Juli auch an der französisch- 
deutschen Grenze militärische Tätigkeit gezeigt hatte, seinen Botschafter aus 
Frankreich ab, wodurch Frankreich zur Mobilmachung und zur Abberufung 
seines Botschafters aus Deutschland gezwungen war. Damit traten die 
beiden Staaten in den Kriegszustand. Weiterhin verletzte Deutschland nicht 
nur die Neutralität von Luxemburg, sondern richtete auch an Belgien ein 
Ultimatum dahingehend, daß Belgien in Mißachtung seiner Neutralität 
die deutschen militärischen Operationen erleichtern solle. England, das an 
der Wahrung der belgischen Neutralität sehr stark interessiert ist, richtete an 
die französische und an die deutsche Regierung die Aufrage, ob sie die 
belgische Neutralität zu wahren gedächten. Frankreich erwiderte, daß es 
dies zu tun gedenke, solange die Neutralität nicht durch eine andere Macht 
verletzt werde, Deutschland aber weigerte sich, eine solche Garantie zu geben. 
Dies waren die Umstände, die schließlich England zur Teilnahme am Kriege, 
und zwar auf seiten Frankreichs und Rußlands zwangen. Dies ist also 
ein Ueberblick über die Entwicklung der Dinge vom serbisch-österreichischen 
Streit an bis zum Ausbruch des gegenwärtigen Krieges zwischen Deutsch- 
land und Oesterreich-Ungarn auf der einen und Rußland, Frankreich und 
England auf der andern Seite. 
Von Anfang an den Ernst der europäischen Lage erkennend, hielt 
es die Kaiserliche Regierung für nötig, Japans Haltung dieser Lage gegen- 
über öffentlich zum Ausdruck zu bringen, was durch die folgende, unter 
dem 4. August abgegebene Erklärung des Auswärtigen Amts geschah: „Die 
Kaiserliche Regierung kann nur mit größter Besorgnis, vom politischen sowie 
vom ökonomischen Standpunkte aus, die jüngste Entwicklung der politischen 
Lage in Europa betrachten. Es bedarf kaum der Erklärung, daß die 
Europäischer Geschichtskalender. LV. 64
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.