Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

Anhaug I. Liplomatische Perhandlungen. (Juli 31.) 1057 
wonach Oesterreich entschlossen ist, dem Dazwischentreten der Mächte nicht 
nachzugeben, und seine Truppenbewegungen sowohl gegen Rußland als 
gegen Serbien richtet. Rußland hat ebenfalls Grund zu glauben, daß 
Deutschland aktive militärische Vorbereitungen trifft und es kann ihm un- 
möglich einen Vorsprung lassen. (Der erwähnte Bericht des russischen Bot- 
schafters in Wien ist im RO nicht enthalten.) 
4. Der französische Botschafter in Petersburg an Viviani 
(G 118): Auf Grund der allgemeinen Mobilmachung Oesterreichs und der 
von Deutschland seit sechs Tagen geheim, aber unausgesetzt betriebenen 
Mobilmachungsmaßnahmen ist der Befehl zur allgemeinen Mobilmachung 
des russischen Heeres erlassen worden. 
5. Note des (russischen) Ministeriums des Aeußern über 
die Vorgänge der letzten Tage, 2. August (RO. 77): Der Vorschlag Ruß 
lands (Ssasonows Formel vom 30.) wurde von Deutschland als unannehm- 
bar für Oesterreich- Ungarn bezeichnet. Zugleich traf in Petersburg die 
Nachricht ein, daß Oesterreich-Ungarn die allgemeine Mobilmachung an- 
geordnet habe. Zu gleicher Zeit wurden die Feindseligkeiten auf serbischem 
Boden fortgesetzt und Belgrad einem neuen Bombardement unterworfsen. 
Die Folge dieses Mißerfolges unserer Friedensvorschläge war die Not- 
wendigkeit, unsere kriegerischen Vorsichtsmaßregeln auszudehnen. 
(London.) Früh. In einer Ministerratssitzung wird be- 
schlossen die weitere Entwicklung der politischen Lage abzuwarten 
(EB 116, 119, F# 110). 
Der französische Botschafter in London an Viviani (FG 
110): Ich befrug Sir Ed. Grey über die Ministerratssitzung, die heute morgen 
staltgefunden hatte. Er antwortete mir, nach Prüfung der Lage finde das 
Kabinett, daß uns die britische Regierung zurzeit ihre Intervention nicht 
verbürgen könne; sie habe die Absicht, sich ins Mittel zu legen, um von 
Deutschland und Frankreich die Verpflichtung der Respektierung der belgi- 
schen Neutralität zu erlangen; bevor man aber eine Intervention ins Auge 
fassen könne, müsse man die weitere Entwicklung der Lage abwarten. 
Ich habe Sir Ed. Grey gefragt, ob die britische Regierung mit der 
Intervention warten wolle, bis der Feind in französisches Gebiet eingefallen 
sei. Ich habe besonderen Nachdruck auf die Tatsache gelegt daß die von 
Deutschland an unserer Grenze bereits ergriffenen Maßnahmen die Absicht 
eines baldigen Angriffs erkennen ließen, und wenn man eine Wiederholung 
des Irrtums, den Europa im Jahre 1870 begangen habe, nicht wieder 
erleben wolle, England schon jetzt die Bedingungen ins Auge fassen müsse, 
unter denen es uns den Beistand gewähren würde, auf den Frankreich zähle. 
Sir Ed. Grey hat mir geantwortet, die Meinung des Kabinetts habe 
sich nur über die gegenwärtige Situation gebildet; diese Lage könne sich 
ändern, und in diesem Falle würde man sofort den Ministerrat einberufen, 
um darüber zu beraten. 
Sir A. Nicolson, den ich traf, als ich das Zimmer des Staats- 
sekretärs verließ, hat mir gesagt, der Ministerrat werde morgen wieder 
zusammentreten, und er hat mir im Vertrauen zu verstehen gegeben, der 
Staatssekretär der auswärtigen Anglegenheiten werde nicht ermangeln, die 
Diskussion wieder aufzunehmen. 
(Wien.) Trotz der russischen Mobilmachung gegen Osterreich 
ist die österreichisch-ungarische Regierung bereit, die Pourparlers 
mit Petersburg fortzusetzen (EB 118, 137, RO 66, OR 53). 
Europêischer Geschichtskalender. LV. 67
	        
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