Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

562 Großbritannien. (August 14.) 
Augenblick wird die russische Macht größer, und Frankreich — nachdem 
seinem Racheempfinden gegen Deutschland Genüge geschehen — wird in 
England den Mohren sehen, der seine Schuldigkeit getan hat und nun 
gehen kann. Die Freundschaft mit Frankreich ist zu flüchtig, um in die Tiefe 
zu dringen. Frankreich hat sich nur mit uns verbunden, um Deutschland 
zu vernichten. Es wird sich keinen Augenblick scheuen, mit uns einen harten, 
wirtschaftlichen Kampf aufzunehmen, wenn es unsere Freundschaft nicht 
mehr braucht, und wir sehen uns vielleicht in einigen Jahren gezwungen, 
gegen Frankreich aus denselben Gründen vorzugehen, wie jetzt gegen Deutsch- 
land — und zwar aus brutalem Konkurrenzkampf. 
Vergessen wir auch folgendes nicht: Kaiser Wilhelm verkündete bei 
seinem Einzug in Tanger, er käme als Freund der Mohammedaner — 
250 Millionen Mohammedaner in allen Gebieten des Islams haben an 
diese Freundschaft geglaubt. Dieser Glaube wurde beeinträchtigt durch den 
Krieg Italiens gegen die Türkei, den der Kaiser im Interesse seines 
italienischen Bundesgenossen nicht hinderte. Die jetzige Kriegslage drängt 
die Türken an die Seite Deutschlands. Wenn wir im Orient einigen Ein- 
fluß besessen haben, so ist dieser jetzt vernichtet, und mit dieser Vernichtung 
hängt unsere Herrschaft über viele, viele Millionen Mohammedaner zu- 
sammen, die sich wie ein vernichtender Orkan erheben werden, wenn der 
Sultan die Kalifenflagge entfaltet und alle Moslems zum heiligen Krieg 
ruft, denn Konstantinopel ist ein Heiligtum der Mohammedaner — hier 
thront der Nachfolger Mohammeds. 250 Millionen Mohammedaner zittern 
für deutsche Siege und werden ihre Ketten wie Kinderspielzeug abschütteln, 
wenn Deutschland siegt. In englischen Besitzungen wohnen über 100 Mil- 
lionen Mohammedaner. Die Fahne Mohammeds wird vorangetragen 
werden, wenn die Flammen des Aufruhrs in Indien hochschlagen. Man 
wird den heiligen Teppich aus der Kaaba holen und ihn vorantragen, 
wenn ein zweiter Mahdi erstünde und über die Leichen der in Chartum 
stehenden englischen Truppen die Idee der Erweckung des Volkes Moham- 
meds nach Aegypten trägt. 
England spielt das Spiel mit seiner Existenz, und dieses Spiel 
ruhig anzusehen, ohne auf die möglichen Folgen hinzuweisen, hieße zum 
Verräter an der englischen Nation werden. 
Gegenüber Versuchen von englischer Seite, die Echtheit dieser Rede 
zu bestreiten, teilt die „Korrespondenz Berolina“ am 12. September mit: 
Wir begreifen, daß die „Times"“ den dringenden Wunsch hegen, den Eindruck 
der Burnsschen Rede zu verwischen. Burns hat diese Rede nach einem uns 
von einwandfreier Quelle übersandten Bericht (nach einem Stenogramm) 
in einer der vielen Protestversammlungen gehalten. 
14. August. Der englische Oberstkommandierende French trifft 
im französischen Hauptquartier ein. 
Mitte August. Bildung eines Neutralitätskomitees, um die 
Teilnahme Englands an dem Kriege zu verkürzen. 
Zu den leitenden Persönlichkeiten dieses Komitees gehören der Lord 
Mayor von Manchester, die Bischöfe von Lincoln und Hereford und viele 
Politiker und Gelehrte hohen Rufs. Das Komitee veröffentlicht einen 
Aufruf, worin darauf hingewiesen wird, daß der Sieg der Koalition über 
Deutschland und Oesterreich-Ungarn Rußland zum Herrn sowohl in Europa als 
auch in Asien machen würde. Deutschland sei aber ein hochkultiviertes 
Land, das in hohem Grade zur Entwicklung Europas beigetragen habe und 
dessen moralische Begriffe und materielle Entwicklung im Vergleich zu
	        
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