Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

1140 Nebersicht über die politische Entwichlung des Jahres 1914. 
genossen in einen grimmen Gegner, die sich in Italien zwischen 
August 1914 und Mai 1915 vollzogen hat, wird für alle Zeiten 
ein Schulbeispiel für die furchtbaren, alle Vernunftgründe hem- 
mungslos fortspülenden Wirkungen bleiben, die ein überhitzter, 
durch rücksichtslose Parteiagitation großgezüchteter Chauviniomus 
auszuüben imstande ist. Nach dem Eintritt des österreichisch-serbischen 
Konfliktes zeigte sich die italienische Regierung zunächst bestrebt, der 
auch nach italienischer Auffassung durch die großserbische Propa- 
ganda schwer gefährdeten Monarchie von seiten Serbiens die be- 
ruhigendsten Zusicherungen zu verschafsfen, und ließ in Wien erklären, 
daß sie im Falle eines kriegerischen Zusammenstoßes „eine freund- 
schaftliche und den Bundesverhältnissen entsprechende Haltung“ ein- 
nehmen werde (S. 718), allerdings mit der ausdrücklichen Voraus- 
setzung, daß sie, selbst wenn es nur zu einer provisorischen Besetzung 
serbischen Territoriums durch Osterreich kommen sollte, sich vor- 
behalte, das ihr auf Grund des Artikels VII des Dreibundvertrages 
zustehende Kompensationsrecht in Anspruch zu nehmen (4. OR 9). 
Obwohl diese anfechtbare italienische Interpretation des Artikels VII 
von der österreichisch-ungarischen Regierung auf Befürwortung der 
deutschen Regierung am 1. August im Interesse der Erhaltung des 
bundesgenössischen Einvernehmens angenommen wurde (S. 1062, 
wich Italien angesichts der europäischen Konflagration der Erfüllung 
der bisher als zu Recht bestehend anerkannten Bündnispflichten aus, 
indem es den rein defensiven Charakter des Dreibundes vorschützte. 
der den Vertragsteilen jede eigenmächtige Sonderaktion, wie sie 
Osterreich gegen Serbien ohne vorhergehende Verständigung Italiens 
eingeleitet habe, verbiete (S. 719 f.). Doch galt für den am Abend 
des 1. August gefaßten Neutralitätsbeschluß noch der Vorbehalt, 
„später den Wünschen der Verbündeten mehr entsprechende Ent- 
scheidungen zu treffen, wenn dies Italiens Pflicht sein wird, oder 
wenn die italienischen Interessen es gebieten werden“, und König 
Viktor Emanuel versicherte Kaiser Franz Joseph am 2. August, daß 
Italien „gegenüber seinen Verbündeten eine herzlich freundschaft- 
liche Haltung bewahren wird, entsprechend dem Dreibundsvertrage, 
seinen aufrichtigen Gefühlen und den großen Interessen, die es 
wahren muß“ (S. 720). Ließ sich Italiens Zurückhaltung bei
	        
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