Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

Aebersicht über die politische Eutwichlung des Jahres 1914. 1169 
zu berufen. Aber auch diese Konferenz, die vom 21.—24. Juni 
tagte, verlief völlig ergebnislos (S. 544). Bereits kam es in Ir- 
land zu blutigen Zusammenstößen zwischen den Ulsterfreiwilligen und 
der Polizei. Eine Katastrophe schien unabwendbar, als die inter- 
nationale Konfliktsgefahr plötzlich die innere Spannung beseitigte. 
Am 30. Juni beantragte Premierminister Asquith in übereinstim- 
mung mit der Opposition im Unterhause die Vertagung der zweiten 
Lesung der Zusatzvorlage, damit England imstande sei, „mit der 
Autorität einer einigen Nation zu sprechen und zu handeln“ (S. 546). 
Durch das Drängen der irischen Nationalisten sah sich die Regierung 
im September gezwungen, die Homerulefrage wieder auf die Tages- 
ordnung zu setzen. Am 15. September beschloß das Unterhaus, daß 
die Vorlage zwar Gesetz werden, jedoch erst nach Ende des Krieges 
in Kraft treten solle (S. 576). Gleichzeitig versprach Asquith für die 
nächste Parlamentssession die Einbringung einer Abänderungs- 
vorlage, die den Wünschen Ulsters entgegenkommen werde. Mit 
diesem Ausgleich mußten sich die Parteien bescheiden. Lediglich 
dank der durch den Krieg geschaffenen nationalen Einmütigkeit ist 
es somit der Regierung, die sich während der Krise ungemein schwäch- 
lich und zweideutig benommen hatte, gelungen, des schweren inneren 
Konflikts Herr zu werden und die in ihren Folgen unabsehbare 
Katastrophe eines Bürgerkrieges knapp vor ihrem Ausbruch abzu- 
wenden. Ja, es ist sogar geradezu behauptet worden, daß die Rück- 
sicht auf die unhaltbare innere Lage für den Entschluß der britischen 
Regierung, in den Krieg einzutreten, ausschlaggebend gewesen sei. 
Daß zwischen der inneren Krise und der Führung der englischen 
Außenpolitik geheime Zusammenhänge bestanden, ist bereits Monate 
vor Kriegsbeginn von Eingeweihten festgestellt worden. Am 15. Sep- 
tember wurde durch Unterhausbeschluß auch die Ausführung des 
vielumstrittenen Gesetzentwurfes über die Entstaatlichung der Kirche 
in Wales, der am 25. Mai vom Unterhause zum dritten Male in 
dritter Lesung angenommen worden war, bis zum Friedensschluß 
zurückgestellt. Die Vorlage über die Abschaffung der Pluralstimmen 
bei den Wahlen, der das Unterhaus am 15. Juni zum zweiten 
Male in dritter Lesung zugestimmt hatte, wurde vom Oberhause 
am 15. Juli abgelehnt. 
Europäischer Geschichtskalender. LV. 74
	        
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