Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

Frankreich. 
Dreijahr- 
gesetz. 
1172 Meberscht über die politische Entwiclung des Jahres 1914. 
Staaten dagegen erhobene Beschwerden blieben völlig wirkungslos 
(S. 774, 792 f., 967 ff.); vielmehr fanden die von England aus- 
gebildeten brutalen Methoden des Wirtschaftskrieges bei seinen 
Bundesgenossen bereitwillige Nachahmung. Durch das Londoner 
Abkommen vom 5. September, in dem sich England, Rußland und 
Frankreich gegenseitig verpflichteten, während des gegenwärtigen 
Krieges keinen Sonderfrieden abzuschließen, hat sich England auch 
die politische Führerschaft unter unseren Gegnern gesichert. 
Mit der schweren Bürde des Dreijahrgesetzes belastet trat 
Frankreich in das neue Jahr ein. Nur nach ausgedehnten leiden- 
schaftlichen Auseinandersetzungen und gegen eine starke Opposition 
hatte die Kammer am 20. Juli 1913 der von der Heeresleitung 
geforderten Verlängerung der militärischen Dienstzeit zugestimmt. 
Der heftige, auch nach der Annahme des Gesetzes sich offen kund- 
gebende Widerspruch gegen diese Maßnahme entsprang nicht nur 
gerechtfertigten Bedenken finanzieller, wirtschaftlicher und sozialer 
Natur, sondern vor allem der bangen Erkenntnis, daß diese Heeres- 
verstärkung, die angeblich den Frieden befestigen sollte, dem herrschen- 
den Nationalismus eine gefährliche Waffe in die Hand drückte. die 
um so verhängnisvoller wirken mußte, je weniger Aussicht bestand, 
das Gesetz längere Zeit aufrechterhalten zu können. Für die Re- 
gierung andererseits bildete seine Durchführung sowohl eine bedeut- 
same innerpolitische Prestigefrage, aus der sich sehr leicht eine 
Präsidentenkrise und ein Sturz des herrschenden Regimes entwickeln 
konnte, als auch einen unersetzlichen Faktor der Außenpolitik, sollte 
nicht die bisher befolgte Entente= und Alliancepolitik schmählich 
Schiffbruch leiden und dadurch allen chauvinistischen Hoffnungen 
ein jähes Ende bereitet sein. Einsichtsvollen Beurteilern, wie dem 
belgischen Gesandten in Paris (S. 1068, 1073), ist denn auch der 
tiefere Zusammenhang zwischen dem Dreijahrgesetz und der natio- 
nalistischen Regierungspolitik nicht entgangen, und sie haben sehr 
beunruhigt auf die daraus sich ergebende Gefährdung des Welt- 
friedens hingewiesen. Man machte auch auf seiten der Chauvinisten 
kein Hehl daraus, daß das neue Militärgesetz als eine Vorbereitung 
zum Kriege gedacht sei. Trotz dieser in weiten Kreisen unleugbar
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.