Nebersicht über die politische Entwichlung bes Jahres 1914. 1173
vorhandenen Mißstimmung über das neue Militärgesetz ist die be-
merkenswerte Tatsache zu verzeichnen, daß der Bestand des Gesetzes
nie ernstlich in Frage gestellt war; ja, die Regierung durfte es
sogar wagen, eine weitere Heeresverstärkung zu fordern. Am
16. Februar wurde der Kammer ein Gesetzentwurf betr. die Errich-
tung von neuen Kaders und Erhöhung der Mannschaftsbestände
der verschiedenen Waffengattungen unterbreitet (S. 635), der am
12. März mit starker Mehrheit angenommen wurde (S. 640). Die
Gegner des Dreijahrgesetzes suchte man für die Vorlage durch die
Begründung zu gewinnen, daß die Rückkehr zur zweijährigen Dienst-
zeit die Verstärkung der Kaders zur notwendigen Voraussetzung
habe. Die Beschwerden über die aus der überhasteten Durchführung
des Dreijahrgesetzes sich ergebenden Schädigungen im Gesundheits-
zustande der Truppen fanden ihren Niederschlag in einer am
13. Februar in der Kammer eingebrachten Interpellation der
Sozialisten (S. 634), die am 23. Februar die Einsetzung eines
parlamentarischen Untersuchungsausschusses zeitigte (S. 636), nach-
dem die Regierung am 21. Februar das Vorhandensein schwerer
Mißstände anerkannt hatte (S. 636). Auch die Klagen des Senators
Reymond über die Rückständigkeit des französischen Luftfahrwesens
am 23. Januar (S. 630) und die geradezu vernichtenden Enthül-
lungen des Senators Ch. Humbert über die Mangelhaftigkeit der
Heeresorganisation im allgemeinen am 13. Juli (S. 668) ließen
die angeblich vollendete Kriegsbereitschaft Frankreichs in seltsamem
Lichte erscheinen, wenn es auch nicht ausgeschlossen ist, daß diese
unmittelbar vor der Ausreise des Präsidenten nach Rußland ein-
setzende überscharfe Kritik an der militärischen Rüstung weniger in den
tatsächlichen Verhältnissen als in politischen Rücksichten ihre tiefere
Ursache hatte. Die vordringendste Aufgabe, vor die sich die am
13. Januar zusammentretende Abgeordnetenkammer gestellt sah,
war, die Ausgaben für die in der Durchführung begriffene
Heeresvermehrung zu bewilligen und für ihre Begleichung die
noch ausstehenden Deckungen zu schaffen. Am 16. Februar kündigte
der Berichterstatter des Heeresausschusses an, daß die Regierung
an außerordentlichen militärischen Ausgaben, die anfangs auf
860 Millionen Franken veranschlagt waren, rund 1410 Millionen
Heeres-
vorlagen.