Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

Mebersicht über die peolitische Entwichlung des Jahres 1914. 1175 
schaftlichkeit jener Tage (S. 641 ff.). Wohl war der verhaßte 
Minister durch diese Tat unmöglich geworden, zumal die Fest- 
stellungen des unmittelbar nach seinem Rücktritt eingesetzten Rochette- 
ausschusses gewisse Beschuldigungen seiner Gegner nicht ungerechtfertigt 
erscheinen ließen (S. 643, 648); aber seine Reformgedanken blieben 
in Wirksamkeit. Die Einkommensteuervorlage wurde stückweise am 
27. März (S. 646), 1. April (S. 648), 12. und 13. Juli (S. 668) 
von der Kammer angenommen. Angesichts der bedenklichen Finanz- 
lage — das Defizit des Jahres betrug 600 Millionen Franken — 
konnte auch der Senat seine Zustimmung nicht mehr verweigern 
und genehmigte die Vorlage am 2. (S. 665 f.) und 8. Juli (S. 667). 
Freilich war die Einkommensteuer vorläufig nur als Zusatzsteuer 
zur teilweisen Deckung der Heeresausgaben gedacht. Sie sollte am 
1. Januar 1915 in Kraft treten; infolge des Kriegszustandes wurde 
aber davon Abstand genommen (S. 702). Für die dringendsten 
militärischen Ausgaben bewilligte die Kammer am 19. Juni eine 
Anleihe von 800 Millionen Franken. Der Geldbedarf nach Kriegs- 
ausbruch wurde durch die Ausgabe von kurzfristigen Schatzscheinen 
befriedigt (S. 692). Am 22. Dezember wurden von der Kammer 
sechs provisorische Budgetzwölftel in einer Höhe von 8,5 Milliarden 
Franken gefordert, was gegenüber dem Vorjahre eine Mehrausgabe 
von 5,9 Milliarden Franken bedeutete. 
Für die innerpolitischen Ver hältnisse ist die unter 
Briands Führung gegründete „Vereinigung der Linken“ von sym- 
ptomatischer Bedeutung (S. 629). Im scharfen Gegensatz zu dem 
radikalen Block der Linken vertrat sie ein ausgesprochen nationa- 
listisches Programm, das alle Forderungen der Demokratie zu be- 
friedigen suchte, ohne doch die herrschende Ordnung zu beunruhigen. 
Die Kammerwahlen am 26. April und 10. Mai (S. 656 f.) brachten 
aber dieser Neubildung eine empfindliche Niederlage, während die 
Sozialisten und Radikalen namhafte Erfolge zu verzeichnen hatten. 
Trotzdem blieb dieser Wahlsieg des Radikalismus ohne die erwartete 
Wirkung. Der Rücktritt des Kabinetts Doumergue am 2. Juni, 
das in Caillaux sein eigentliches Haupt eingebüßt hatte, war nur 
ein Ausdruck der Unklarheit der innerpolitischen Lage (S. 658 ff.). 
Nachdem ein Versuch des bisherigen Unterrichtsministers Viviani, 
Innere 
Politik.
	        
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