Rußland.
Innere
Politik.
1184 NMebersicht iber die politische Entwichlung des Jahres 1914.
bot Gelegenheit, die Gemeinsamkeit der Landesinteressen öffentlich
zu bekunden und zu ihrem Schutze zweckdienliche Maßnahmen zu
verabreden.
Für die innere Politik Rußlands bedeutete der Rücktritt
des Ministerpräsidenten Kokowzow (S. 800) und seine Ersetzung durch
den reaktionär bewährten früheren Ministerpräsidenten Goremnkin
am 12. Februar (S. 801) eine entscheidende Wendung zur nationa-
listischen und absolutistischen Richtung. Wohl konnten schön-
klingende Erlasse des Zaren, in denen radikale Reformen in der
Finanzverwaltung und im wirtschaftlichen Leben des Landes, eine
Vereinfachung der Regierungstätigkeit und ein einmütiges Zusammen-
wirken der Regierung und der gesetzgebenden Körperschaften in
Aussicht gestellt wurden (S. 801, 805, 815 f.), vorübergehend die
Hoffnung erwecken, als wollte der neue „Kurs“ endlich mit der
Durchführung des Oktobermanifestes von 1905 Ernst machen; aber
die erwarteten durchgreifenden Maßnahmen, die einen bölligen
Bruch mit dem herrschenden Systeme erfordert hätten, blieben auch
dieses Mal aus. In wiederholten Protestresolutionen (S. 799,
821, 828) hat die Duma ihre Mißstimmung über die verfassungs-
widrige Haltung der Regierung zum Ausdruck gebracht. Dem Inter-
pellationsrechte der Duma gegenüber dem Kabinette wurde vom
Ministerpräsidenten Goremykin am 26. März die Anerkennung ver-
weigert. Von den Beschlüssen der Duma verdient außer den zahl-
reichen Bewilligungen für die Erhöhung der Schlagfertigkeit der
Armee und der Flotte (S. 813, 816, 817, 818, 820, 831; vgl. auch
S. 1102) die Festsetzung eines Getreideeinfuhrzolles für Finnland,
eine ausgesprochen deutschfeindliche Maßnahme, besondere Beachtung
(S. 830). Die von der Duma am 9. April genehmigte Gesetzes-
vorlage über die Neuordnung der Munizipalverwaltung in Polen,
die bei den Gemeindesitzungen auch den Gebrauch der polnischen
Sprache gestattete, scheiterte an dem Widerstande des Reichsrates
(S. 826). Die Reichsratsverhandlungen über die Bekämpfung der
Trunksucht, in denen vor allem Graf Witte die Mißbräuche in der
Anwendung des von ihm seinerzeit eingeführten Branntwein-
monopols scharf rügte (S. 798), gaben zu ausführlichen Erörte-