Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

Nebersicht über die politische Eutwiclung des Jahres 1914. 1191 
gelöst werden. Bei den Neuwahlen erhielt die Regierungspartei 128, 
die Opposition 117 Sitze. Die Nachwehen der Balkankriege wurden 
von der innerlich gesunden, tatkräftigen Bevölkerung rasch über- 
wunden. Zur Deckung der Staatsschulden wurde mit der Berliner 
Diskontogesellschaft am 5. Juli ein Anleihevertrag über 500 Mil- 
lionen Franken geschlossen, der am 15. Juli von der Sobranje 
genehmigt wurde, obwohl die Opposition gegen die der Banken- 
gruppe gewährten wirtschaftlichen Zugeständnisse heftigen Widerspruch 
erhob. In der auswärtigen Politik verfolgte Bulgarien durchweg 
friedliche Ziele. Versuche der Erneuerung des Balkanbundes fanden 
allgemeine Ablehnung. Angesichts des österreichisch-serbischen Kon- 
fliktes erklärte es seine vollkommene Neutralität, ohne damit auf 
die Geltendmachung seiner nationalen Interessen Verzicht zu leisten. 
Vergebens waren alle Bemühungen Rußlands, durch weitgehende 
Versprechungen die Unterstützung der tapferen bulgarischen Armee 
zu gewinnen. Die schlimmen Erfahrungen des zweiten Balkankrieges 
hatten Bulgarien den Wert russischer Freundschaftsversicherungen 
richtig einschätzen gelehrt. Nur um den Preis der sofortigen Rück- 
gabe des geraubten Mazedoniens war die bulgarische Regierung 
bereit, sich auf Verhandlungen mit den Ententemächten einzulassen. 
An eine Erfüllung dieser Bedingung aber war um so weniger zu denken, 
als Serbien irgendwelche Zugeständnisse in der mazedonischen Frage 
hartnäckig verweigerte. Die slawophile Partei hatte in Bulgarien, 
wie aus den im Kalendarium verzeichneten Pressestimmen zu ersehen 
ist, völlig ausgespielt. Im ruhigen Bewußtsein seiner Stärke und 
seines Rechtes durfte Bulgarien von der Zukunft die Erfüllung seiner 
höchsten nationalen Hoffnungen erwarten. 
Auch für Rumänien (S. 909 ff.) begann das Jahr mit einer Rumänien. 
inneren Krise. Obwohl die erfolgreiche Außenpolitik der Regierung 
während der Balkankriege am 3. Januar die fast einstimmige Bil- 
ligung der Kammer erfahren hatte, mußte das konservative Kabinett 
Majorescu wenige Tage später aus innerpolitischen Gründen zurück- 
treten. Seine Stelle nahm am 16. Januar das liberale Ministerium 
Bratianu ein, das am 24. Januar die Auflösung des Parlaments 
verfügte, um sich für die Durchführung der geplanten großen inneren 
Reformen (Enteignung des Großgrundbesitzes zugunsten landloser
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.