Serbien.
1192 Mebersicht über die politische Entwichlung bes Jahrrs 1914.
Bauern und Demokratisierung des Wahlrechts) die notwendige
Zweidrittelmehrheit zu verschaffen. Dieses Ziel wurde durch die
Neuwahlen erreicht. Nachdem das Parlament den Antrag auf
Revision der Verfassung in allen drei Lesungen angenommen hatte,
wurde es am 5. Mai erneut aufgelöst und eine besondere Konstituierende
Versammlung gewählt, die über die Verfassungsreform entscheiden
sollte; doch ließ sich angesichts des Widerstreits der wirtschaftlichen
Interessen eine Einigung nicht erzielen. In ihrem Verhältnis zu
den Großmächten bekannte sich die Regierung zur „Politik der freien
Hand“. Gleichwohl war das Hochkommen eines ungesunden Natio-
nalismus als Nachwirkung der politischen Erfolge des letzten Jahres
deutlich erkennbar. In welcher Richtung sich die Wünsche der
rumänischen Patrioten, deren Vertreter auch in der Regierung saßen,
bewegten, kam in den Kundgebungen der „Kulturliga“ (S. 912)
unverhüllt zum Ausdruck. Von russischer Seite fanden diese natio-
nalistischen Träume begreiflicherweise jedmögliche Förderung. In
dem Zarenbesuch in Konstanza am 14. Juni, der äußerlich den
Charakter einer Familienzusammenkunft trug, dürfen wir heute
einen wohlberechneten Schachzug der gegen die Mittelmächte ge-
richteten Einkreisungspolitik erblicken. Gegenüber der Gesinnungs-
stärke und dem staatsmännischen Scharfblicke des greisen Rumänen-
königs, der, wie die Wiener „Reichspost“ nach seinem Ableben
treffend schrieb, am klarsten die Mission Rumäniens, ein Damm
gegen die russische Flut zu sein, erkannt hatte, mußten derartige
Derführungskünste freilich versagen. Aber den Forderungen der
irregeleiteten öffentlichen Meinung konnte auch er sich nicht ent-
ziehen, und sein Tod (am 10. Oktober) bewahrte ihn vor dem
tragischen Schicksale, entweder sein Wort brechen oder das Land.
dem seine Lebensarbeit gegolten, aufgeben zu müssen (s. auch oben
S. 1142 f.).
In Serbien (S. 920 ff.) wurde die am Ende des Vorjahres
eingetretene Ministerkrise am 3. Januar durch die Wiederernennung
der bisherigen Minister (mit Ausnahme des Kriegsministers) be-
seitigt. Zur Bestreitung der von der Armeeleitung angeforderten
außerordentlichen Rüstungskredite, die zur Erneuerung des Kriegs-
materials bestimmt waren, bewilligte die Skupschtina am 15. Juni