Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

NMebersicht über die pelitische Eutwichlung des Jahres 1914. 1195 
Die Ereignisse in Albanien (S. 940 ff.), von denen die Albanien. 
Tageszeitungen des Jahres soviel zu berichten hatten, können im 
Rahmen einer weltpolitischen Übersicht nur einen bescheidenen Raum 
beanspruchen. Denn zu irgendeinem dauernden Ergebnis haben 
diese ununterbrochenen Wirren nicht geführt, und den Beweis für 
ihre Daseinsberechtigung und Lebensfähigkeit konnte diese Schöpfung 
der Londoner Botschafterkonferenz nicht erbringen. Man muß frei- 
lich billigerweise zugestehen, daß die Wahl eines christlichen Fürsten 
für ein Land, dessen Bevölkerung überwiegend aus eifrigen Be- 
kennern des Islams besteht, und in dem die Erinnerung an das 
türkische Regime noch keineswegs erloschen war, einen offensichtlichen 
Mißgriff darstellte. Dadurch geriet der neue Fürst, dem niemand 
den aufrichtigsten Willen und die besten Absichten absprechen konnte, 
von vornherein gegenüber dem größten Teile seiner Untertanen in 
eine schiefe Lage. Dazu kamen bedenkliche Umtriebe von seiten der 
Nachbarstaaten, die den Bestand des neuen Staatswesens aufs 
schwerste gefährdeten und eine Beruhigung der inneren Verhältnisse 
geflissentlich hinderten. Noch bevor Fürst Wilhelm seinen Einzug 
in Durazzo gehalten hatte, brach anfangs März eine allgemeine, 
von Griechenland insgeheim geförderte Aufstandsbewegung in Süd- 
albanien aus, die sich die Lostrennung des Gebietes und die Schaf- 
fung eines selbständigen Staates Epirus zum Ziele setzte. Auch 
das Verhalten der italienischen Regierung, vor allem im Falle 
Essad Pascha, ließ ihre Loyalität in sehr zweifelhaftem Lichte er- 
scheinen. Die italienische Presse hat zweifellos nichts unterlassen, 
um die neue Regierung vor der europäischen Offentlichkeit bloß- 
zustellen und ihr Ansehen systematisch zu untergraben. Ob anderer- 
seits Fürst Wilhelm in der Wahl seiner Ratgeber und der Be- 
handlung seiner Untertanen stets eine glückliche Hand bewiesen hat, 
mag füglich dahingestellt bleiben. Jedenfalls sind seine wieder- 
holten Versuche, sich auf friedlichem Wege mit den Aufständischen zu 
verständigen, durchaus fehlgeschlagen. Die am 18. Mai zwischen 
den Epiroten und Albanien in Korfu erzielte Übereinkunft blieb 
praktisch bedeutungslos. Der allgemeine Aufstand griff unauf- 
haltsam um sich, so daß sich der Machtbereich des Fürsten bald 
nur mehr auf den Küstenstrich beschränkte. Am 15. Juni erfolgte
	        
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