Mebersicht über die politische Entwichlung des Jahres 1914. 1205
In Persien trat am 21. Juli der für großjährig erklärte Persien.
Schah Ahmed Kadjar die Regierung an, der alsbald mit der Durch-
führung einer umfassenden Neugestaltung des Staatswesens begann
(S. 1014). Die Abhängigkeit von Rußland und England konnte
freilich auch er nicht abschütteln. Die von der persischen Regierung
wiederholt in Petersburg erhobene Forderung, die russischen Be-
satzungen aus Nordpersien abzurufen, blieb erfolglos; vielmehr
wurden die Truppen anfangs November auf Kriegsfuß gesetzt und
das Land dadurch wider seinen Willen in die Kriegswirren hinein-
gezogen. Trotz der tiefen Erbitterung über die russischen Gewalt-
tätigkeiten und des offen sich bekundenden Gemeinschaftsgefühls mit
der Türkei — nach türkischen Blättern soll sogar ein türkisch-
persisches Bündnis abgeschlossen worden sein — mußte die persische
Regierung angesichts der Schwäche der militärischen Rüstungen
offiziell ihre Neutralität erklären. Doch beteiligten sich persische
Stämme mehrfach am Kampfe gegen Rußland.
Auch in Afghanistan scheint nach freilich nicht weiter nach-Afghanistan-
prüfbaren Pressemeldungen die Ausrufung des Heiligen Krieges
nicht wirkungslos geblieben zu sein (S. 1015). Dagegen ist es in
Britisch-Indien zu dem vielfach erwarteten Aufstande gegen die Britich-
englische Herrschaft nicht gekommen. Ein Nationalkongreß in Indien-
Madras gab am 30. Dezember der Loyalität des indischen Volkes
Ausdruck, nachdem bereits seit Kriegsbeginn die indischen Fürsten
das Mutterland mit Truppen und Geldmitteln ausgiebig unter-
stützt hatten.
Die Rückkehr vom parlamentarischen zum absolutistischen China-
Regierungssystem, die sich in China im Berichtsjahre vollzogen
hat, entsprach durchaus den Lebensbedürfnissen dieses durch innere
Unruhen geschwächten, von beutelüsternen Nachbarn bedrohten Landes.
Denn nur eine starke, rücksichtslos durchgreifende Persönlichkeit von
der Art Muanschikais war imstande, das in seinen Grundfesten er-
schütterte himmlische Reich durch die schweren Bedrängnisse der
Gegenwart einer gedeihlichen Zukunft entgegenzuführen. Vor allem
mußte das Parlament, das keine fruchtbare Arbeit zu leisten ver-
mochte und sich lediglich als ein Hemmnis für eine Gesundung
des innerpolitischen Lebens erwies, gründlich umgestaltet werden.