Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zweiunddreißigster Jahrgang. 1916. Zweiter Teil. (57b)

150 Veleu. (Nov. 26.) 
Auf Allerhöchsten Befehl Seiner Majestät des Deutschen Kaisers und 
Seiner Majestät des Kaisers von Oesterreich und Apostolischen Königs von 
Ungarn wird folgendes verordnet: 
Berordnung betr. den provisorischen Staatsrat im Königreich Polen. 
§ 1. Bis auf Grund eines zu vereinbarenden Wahlverfahrens ein 
Staatsrat im Königreich Polen gebildet sein wird, wird ein provisorischer 
Staatsrat mit dem Sitz in Warschau errichtet. Dieser Staatsrat besteht 
aus 25 Mitgliedern, die mit den Wünschen und Interessen des Volkes 
vertraut und vermöge ihrer Lebensstellung zur Vertretung aller Gebiete 
und Berufskreise innerhalb der beiden Generalgouvernements befähigt sind. 
Fünfzehn Mitglieder werden aus dem deutschen Verwaltungsgebiete, zehn 
Mitglieder aus dem österreichisch= ungarischen Verwaltungsgebiete ent- 
nommen. 
§8 2. Die Mitglieder dieses Staatsrats werden auf Grund Allerhöchsten 
Befehls Seiner Majestät des Deutschen Kaisers und Seiner Majestät des 
Kaisers von Oesterreich und Apostolischen Königs von Ungarn durch gemein- 
samen Erlaß der beiden Generalgouverneure berufen. Wenn ein Mitglied 
wegfällt, wird nach den vorangehenden Vorschriften ein anderes Mitglied 
berufen. 
§ 3. Die beiden Generalgouverneure entsenden in den Staatsrat je 
einen Regierungskommissar und je zwei Stellvertreter. Zur Einholung von 
Aeußerungen oder zur Erteilung von Aufklärungen können von jedem 
Generalgouverneur nach Bedarf auch sonstige Vertreter zu den Sitzungen 
des Staatsrats entsandt werden. Die Regierungskommissare und die son- 
stigen Vertreter müssen jederzeit gehört werden. 
*s# 4. Der Staatsrat versammelt sich das erstemal auf Einladung der 
beiderseitigen Regierungskommissare und wählt aus seiner Mitte mit ab- 
soluter Stimmenmehrheit den Vorsitzenden und seinen Stellvertreter. Der 
Vorsitzende führt den Titel „Kronmarschall“. 
8 5. Die weiteren Sitzungen des Staatsrats werden vom Kronmarschall 
einberufen. Eine Sitzung muß stattfinden, wenn einer der Regierungs- 
kommissare oder die Mehrheit der Mitglieder es verlangen. 
§ 6. Der Staatsrat beschließt seine Geschäftsordnung und wählt ins- 
besondere einen geschäftsführenden Ausschuß. Die Geschäftssprache des 
Staatsrats ist die polnische. Die behördlichen Organe sind berechtigt, sich 
der deutschen Sprache zu bedienen. Die Sitzungen des Staatsrats sind 
nicht öffentlich. 
§ 7. Der Staatsrat hat in allen Fragen der Gesetzgebung, in denen 
die beiden Verwaltungen gemeinsam oder einzeln an ihn herantreten, sein 
Gutachten abzugeben. Er ist berufen, an der Schaffung weiterer staatlicher 
Einrichtungen im Königreich Polen mitzuwirken. Zu diesem Zweck hat der 
Staatsrat a) die Entwürfe der Verordnungen auszuarbeiten, durch welche 
die gemeinsame Vertretung der von dem Deutschen Reich und von der 
österreichisch-ungarischen Monarchie verwalteten Teile des Königreichs Polen 
geregelt wird; b) die Einrichtung einer polnischen Staatsverwaltung vor- 
zubereiten. Außerdem hat der Staatsrat 1. Initiativanträge und An- 
regungen in Landesangelegenheiten vorzubringen; 2. an der Bildung der 
polnischen Armee mit dem hiermit betrauten höchsten militärischen Besehls- 
haber der verbündeten Mächte mitzuwirken: 3. Beschlüsse über die Behebung. 
der Kriegsschäden und über die wirtschaftliche Belebung des Landes zu 
fassen und die hierzu erforderlichen Mittel aus den von den beiderseitigen 
Verwaltungen zur Verfügung gestellten Krediten anzuweisen oder durch 
Zuschlag zu den direkten Steuern oder durch Aufnahme von Anleihen auf- 
zubringen. Die im Sinne des § 3 gefaßten Beschlüsse werden, wenn sie die
	        
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