VBeisches Reich. (Februar 15.) 129
des Krieges haben die Impfungstheorie bestätigt. Leider ist eine große Zahl
von unseren Soldaten anfangs an dem Wundstarrkrampf zugrunde ge-
gangen. Jetzt ist der Tetanus infolge der Impfung mit Serum verschwunden.
Die Ruhr wird jetzt durch ein neues Serum bekämpft. Das Glänzendste,
was auf diesem Gebiete geleistet ist, ist die Bekämpfung des Fleckfiebers.
Die Pockenepidemie erstreckt sich über ganz Norddeutschland. Die Pocken sind
bei uns durch Vagabunden verbreitet worden. Infolge des Impfzwangs
für die Herbergen wird die Epidemie hoffentlich in kurzer Zeit verschwinden.
An übertragbaren Geschlechtskrankheiten litten 1900 täglich 100000.
Bei der Armee sind es jetzt nur wenig mehr. Die Infektion findet meist
in der Heimat statt. Wir sind jetzt daran, einen Gesetzentwurf zur Be-
kämpfung der Geschlechtskrankheiten auszuarbeiten. Wir hoffen, damit der
Prostitution energisch zu Leibe gehen zu können. Der Minister hat in dieser
Sache einen sehr bemerkenswerten Erlaß herausgegeben. Viele Aerzte meinen,
daß der außereheliche Verkehr notwendig ist zur Erhaltung der Gesundheit.
Das ist durchaus falsch. Warum sollen denn die Männer hinter den Frauen
zurückstehen? Ich kann eine doppelte Moral für beide Geschlechter nicht
anerkennen. Die verheerenden Wirkungen der Geschlechtskrankheiten sind
bekannt. Die Bestrebungen der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der
Geschlechtskrankheiten sind zu begrüßen. Wenn wir jetzt ein Gesetz zur Be-
kämpfung der antikonzeptionellen Mittel erlassen, so dürfen wir die Mittel
zur Verhütung der Geschlechtskrankheiten nicht darunter fallen lassen. Daß
aber diese Mittel dazu dienen sollen, die Geburten zu verhüten, muß auf
das schroffste zurückgewiesen werden. Wir Aerzte sind keine Sittenrichter,
aber wir sind verpflichtet, die Geister wachzurufen, wenn eine Entgleisung
zu befürchten ist. Unser Volk ist in Gefahr zu vergessen, daß jeder von uns
nicht geboren ist, um sich auszuleben, sondern um seine Pflicht zu tun.
Wir dürfen nicht vergessen: wir befinden uns erst im ersten punischen Kriege,
der zweite und dritte wird noch kommen. Auch ein englischer Minister hat
jüngst gesagt, wir sind im ersten punischen Kriege, aber wir sind nicht so
entsittlicht wie die Karthager. Vielleicht hat er recht. Hoffentlich sind wir
aber dann nicht so entsittlicht wie die Römer. Was die exceptio plurium
betrifft, so sind wir allerdings der Ansicht, daß eine Aenderung des Bürger.
lichen Gesetzbuches in dieser Beziehung notwendig ist.
Abg. Adolf Hoffmann (Soz. Arb.): Das Medizinalamt sollte
gerade jetzt im Kriege dafür sorgen, daß den Krankheiten mehr vorgebeugt
wird. Die Unterernährung ist eine dringende Gefahr für die Gesundheit,
besonders der Frauen. Dieser entsetzliche Krieg wird mehr zum Geburten-
rückgang beitragen, als Sie sich vorstellen. Die Schwerarbeit hat besonders
die jungen Mütter schwer geschädigt. Gewiß muß unser Gewissen geschärft
werden, aber auch nach der vorbengenden Seite hin; die größte Gefahr
liegt in der jetzigen Unterernährung. Für diejenigen, die von früh bis
abends spät schaffen müssen, muß auch für genügende Nahrung gesorgt
werden. Heute habe ich 6000 Menschen zusammen gesehen, die die Munitions-
fabriken verlassen haben, weil sie an Unterernährung zusammenbrechen. Die
Medizinalverwaltung muß Sorge tragen, daß die Leute nicht an Entkräftung
vollends zugrunde gehen, sonst ist sie für die Folgen mit verantwortlich.
Damit schließt die Besprechung. Der Haushalt für das Medizinal-
wesen wird nach dem Entwurf festgestellt. Die Anträge betr. Säuglings-
fürsorgestellen und betr. die Beibehaltung der Reichswochenhilfe werden nach
den Kommissionsanträgen angenommen.
15. Febr. Bestandserhebung von Brotgetreide, Mehl und Hülsen-
früchten.
Europäischer Geschichtskalender. LVIII. 9